EHEC-Ausbruchsgeschehen in Deutschland aufgeklärt: Auslöser waren Sprossen von Bockshornkleesamen aus Ägypten

  • 12.07.2011
  • News
  • Redaktion

Bestimmte Chargen von aus Ägypten stammenden Bockshornkleesamen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit für die EHEC O104:H4-Ausbrüche in Deutschland und Frankreich verantwortlich. Grundlage für die Aufklärung waren epidemiologische Untersuchungen sowie die Rück- und Vorwärtsverfolgung von Samenlieferungen durch eine eigens dafür gegründete deutsche EHEC-Task Force.

Nachdem auch in Frankreich Ausbruchsfälle mit demselben Erreger aufgetreten sind, hat eine europäische Task Force unter Leitung der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA die Rückverfolgung übernommen. Die EFSA und das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) empfehlen ebenso wie die deutschen Behörden, keine Sprossen für den Eigenbedarf zu ziehen und keine Sprossen oder Keimlinge zu verzehren, die nicht gründlich durchgegart wurden. Hintergrund ist, dass es nach gegenwärtigem Kenntnisstand möglich ist, dass noch mit EHEC kontaminierte Sprossensamen im Umlauf sind.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat eine umfassende Risikobewertung zur Bedeutung von Sprossen(-samen) im Zusammenhang mit dem Ausbruchsgeschehen von EHEC O104:H4 in Deutschland vorgenommen und kommt gemeinsam mit dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und dem Robert Koch-Institut (RKI) zu folgenden Ergebnissen:

Der derzeitige EHEC-Ausbruch ist das größte HUS/EHEC-Ausbruchsgeschehen, das in Deutschland je beschrieben wurde. In Bezug auf die Anzahl der übermittelten Fälle von hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) ist er zudem weltweit der größte beschriebene derartige Ausbruch. Der Erkrankungsgipfel, bezogen auf den Beginn der Durchfallsymptomatik, war am 22.05.2011. Seither geht die Zahl der übermittelten Infektionen durch EHEC und der Neuerkrankungen mit der schweren Verlaufsform HUS zurück. Allerdings ist auch in Zukunft mit weiteren Erkrankungen beim Menschen bzw. Ausbrüchen durch den Erreger EHEC O104:H4 zu rechnen. Diese Infektionen können durch Mensch-zu-Mensch-Übertragung (Schmierinfektion) oder auch durch Lebensmittel erfolgen, die von erkrankten Menschen kontaminiert wurden.

Ursache für den EHEC O104:H4-Ausbruch sind mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Ägypten importierte Bockshornkleesamen, die mit dem Erreger kontaminiert sind und aus denen in einem niedersächsischen Gartenbaubetrieb Sprossen hergestellt wurden. Der Verzehr dieser Sprossen hat dann zu den Erkrankungen geführt. Teilweise sind auch von Menschen übertragene Sekundärinfektionen aufgetreten.

Insbesondere wurden auch die Ergebnisse der am BVL eingerichteten Task Force EHEC herangezogen. Diese Task Force setzt sich aus Experten mehrerer Bundesländer, des BfR, RKI, BVL und der EFSA zusammen. Durch Auswertung von 41 Ausbruchsclustern (Orte mit Erkrankungshäufungen) sowie verfügbaren Lieferlisten und Daten zu Vertriebswegen von Lebensmitteln war es möglich, die Erkrankungen und die lokalen Ausbrüche in Deutschland auf Sprossen aus einem bestimmten niedersächsischen Gartenbaubetrieb zurückzuführen.

Grundlage der Aufklärung auf europäischer Ebene waren zudem die Erkenntnisse einer europäischen Task Force, die von der EFSA koordiniert wurde und für deren Arbeit das Konzept der deutschen Task Force übernommen wurde. Es ließ sich feststellen, dass die Ende Juni in Frankreich aufgetretenen Krankheitsfälle durch EHEC O104:H4 über dieselbe zur Sprossenproduktion verwendete Bockshornklee-Samencharge mit dem Gartenbaubetrieb in Niedersachsen in Verbindung stehen. Diese Charge wurde im Jahr 2009 produziert. Daneben wurde im niedersächsischen Gartenbaubetrieb im April und Mai 2011 noch eine weitere, im Jahr 2010 produzierte Bockshornklee-Samencharge für die Sprossenproduktion eingesetzt. Nach Angabe der EFSA vom 29. Juni 2011 wurden diese beiden Samenchargen über mehrere Zwischenhändler aus Ägypten bezogen.

Den zuständigen deutschen Überwachungsbehörden wurde daher am 30. Juni vom BfR geraten, die Lieferwege dieser beiden Bockshornklee-Samenchargen vollständig aufzudecken und vom Markt zu nehmen. Die Rückverfolgbarkeit von Lieferwegen erlaubt es den Herstellern und Händlern nunmehr, kontaminierte Chargen vollständig zu entsorgen. Diese Maßnahmen werden derzeit umgesetzt.

Bislang gibt es keine konkreten Hinweise, dass auch andere Samenarten und -chargen durch unhygienische Produktionsbedingungen im Herkunftsland oder durch Kreuzkontaminationen bei Zwischenhändlern und Empfängern (z. B. bei Reinigungs-, Misch-, Abfüllprozessen) mit dem Ausbruchstamm kontaminiert wurden. Dennoch ist dies möglich.

Da derzeit möglicherweise noch mit EHEC kontaminierte Sprossensamen im Umlauf sind, bleibt die Empfehlung der deutschen Behörden vom 10.06.2011, Sprossen nicht roh zu verzehren, bestehen. Für den Privathaushalt gilt: Noch vorhandene Sprossensamen und Samenmischungen sollten im Restmüll entsorgt werden. Unabhängig vom aktuellen EHEC-Ausbruch sollten Personen mit geschwächtem Immunsystem, Schwangere und Kinder auf den Verzehr roher Sprossen generell verzichten. Darauf hatte das BfR bereits im Jahr 2010 hingewiesen (BfR-Information Nr. 026/2010 vom 16. Juni 2010, aktualisiert am 09. Mai 2011).

Bockshornkleesamen werden als Gewürz und auch als Heilmittel eingesetzt. Sie finden sich daher in einer Vielzahl von Produkten, u. a. in Nahrungsergänzungsmitteln. Bisher gibt es keinen Hinweis darauf, dass außer Sprossen auch andere, aus Bockshornkleesamen hergestellte Produkte EHEC O104:H4-Infektionen verursacht haben. Dennoch kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass vereinzelte Erreger unter bestimmten Bedingungen auch in oder auf den Samen überleben können. Vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse zur Ausbruchsursache arbeitet das BfR an einer gesundheitlichen Bewertung von verarbeiteten und unverarbeiteten Bockshornkleesamen in anderen Produkten außer Sprossen.

Erkrankte Menschen können auch nach ihrer Genesung über eine bestimmte Zeit Krankheitserreger ausscheiden. Eine Erregerausscheidung ist auch durch infizierte Personen möglich, die selbst nicht erkranken. Deshalb ist es umso wichtiger, dass erkrankte Personen Hygienemaßnahmen besonders beachten und generell bei der Zubereitung von Lebensmitteln die allgemeinen Hygieneregeln konsequent eingehalten werden. Quelle: Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), Robert Koch-Institut (RKI), Gemeinsame Pressemeldung vom 05.07.2011 (12.07.11)

Das könnte Sie interessieren
Pflanzliche Speisefette und –öle. Teil 4: Palmöl weiter
Die Rolle der Ernährungstherapie in der Behandlung von Essstörungen weiter
Alternative Ernährungsformen weiter
MEDPass oder herkömmliche Verabreichung von oraler Nahrungssupplementation weiter
Diagnose-Tool für Schluckstörungen bei älteren Patient*innen: Vergleichsstudie belegt hohe... weiter
Mehr Schein als Sein: Nahrungsergänzungsmittel „made in Germany“ weiter