Wertschätzung für Gemüse: Für das Buch wurden Köche, Erzeuger und „Gemüseexperten“ interviewt. Photo by Jonathan Pielmayer / Unsplash
Wertschätzung für Gemüse: Für das Buch wurden Köche, Erzeuger und „Gemüseexperten“ interviewt. Photo by Jonathan Pielmayer / Unsplash

Rezension von "Leaf to Root": Kreative und naturnahe Inspirationsquelle

  • 13.11.2017
  • News
  • Stella Glogowski

„Leaf to Root – Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel“ ist das Pendant zur „Nose to Tail“-Bewegung bei Fleisch. Das 2016 erschienene Buch öffnet die Pforten zu einer kulinarischen Welt der ganzheitlichen Verwertung von Gemüse abseits der klassischen Teile.

Cover von „Leaf to Root". © A T Verlag
Cover von „Leaf to Root". © A T Verlag

Hierfür hat das dreiköpfige Autorenteam Esther Kern, Sylvan Müller und Pascal Haag, umfassend recherchiert und experimentiert. Bereits während der Arbeit an diesem Buch setzten sie eine Bewegung in Gang, die als Reaktion auf den Überfluss und das Wegwerfen von Lebensmitteln entstand.

Pascal Haag (gelernter Koch und Rezeptentwickler, Vordenker der neuen vegetarischen Küche) und Esther Kern (Journalistin, Gastrokritikerin und seit 2002 Betreiberin einer der ersten Foodwebsites der Schweiz: www.waskochen.ch) inspirieren mit 70 vegetarischen Rezepten: Rote-Bete-Stiel-Kompott mit Ricotta-Creme, Radieschengrün-Pesto, Wassermelonenschalen- Chutney, geschmorter Rotkohlstrunk, gebrannte Kürbiskerne, Brokkoliblatt- oder Blumenkohlblatt-Chips, Kaffee- Walnussblatt-Granité und vieles mehr.

Die Rezepte sind teils einfach, teils raffiniert; sie umfassen Pflanzenteile, die oft weggeworfen werden (beispielsweise Radieschengrün, Kartoffelschalen), aber auch solche, die man nur auf Wochenmärkten oder im Freien bekommt (beispielsweise Fenchelblüten, Walnussblätter). Das Rezeptverzeichnis ist alphabetisch, aber zusätzlich auch nach Gemüseteilen aufgeführt – praktisch zum Nachschlagen, wenn in der Küche etwas überbleibt. Wichtig für die Leaf-to-Root-Küche: Grundsätzlich soll nur Bio-Gemüse verwendet werden, um eine Pestizidbelastung zu vermeiden.

Einige toxikologische und ernährungsphysiologische Aspekte fehlen

Durchbrochen werden die Rezepte von Interviews mit europäischen Spitzenköchen und Bauern, Pionieren der „Leaf to Root“-Bewegung. Die Ergebnisse der Verkostung von rohen und verarbeiteten Gemüseteilen durch eine Sensorikerin sind in einer Übersicht beschrieben; mit einem Lebensmittelchemiker der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften sprachen die Autoren über Vorbehalte, giftige Pflanzenteile und was mit Blausäure und Solanin beim Kochen passiert.

Erstautorin Esther Kern recherchierte zudem in historischen Büchern und internationalen Werken, interviewte Köche, Erzeuger und „Gemüseexperten“ und experimentierte im eigenen Garten für ein umfangreiches Kompendium zu unüblichen Teilen beziehungsweise „Second Cuts“ von 50 Gemüsesorten: von A wie Ananas(strunk) bis Z wie Zwiebeltrieb, -blatt und -blüte. Welche sind essbar? Wie bereitet man sie zu? Worauf gilt es zu achten? Stets ist transparent wiedergegeben, aus welcher der unzähligen Quellen die Informationen stammen; zitierte Publikationen sind sogar sehr anschaulich in einer Randspalte abgebildet.

Kritisch zu hinterfragen ist, ob und welche aufgeführten Pflanzenteile überhaupt verwendet werden sollten (etwa die evtl. Blausäure- haltigen Kerne von Apfel oder Avocado) und wieviel Strunk empfehlenswert ist (Stichwort Nitratgehalt). Denn hier fehlt den meisten Verbrauchern Erfahrung (ist das Pflanzenteil giftig, bereits verdorben?) und auch die bisherigen Handelswege sind nicht so ausgelegt, dass Radieschen- oder Möhrengrün immer frisch in den Handel gelangen. Diese toxikologischen und ernährungsphysiologischen Aspekte sollten in einer weiteren Auflage unbedingt differenzierter und nach aktueller Datenlage herausgearbeitet werden.

Ganze Pflanze erhält wieder mehr Wertschätzung

Das Buch erfüllt jedoch seinen Zweck: Es führt uns den kulinarischen Reichtum der Gemüsewelt vor Augen und bestärkt den Trend, dass sortenspezifische Eigenheiten, regionaltypische Merkmale und saisonale Charakteristika ganzer Pflanzen wieder mehr Wertschätzung erfahren. Wie Foodtrend-Forscherin Hanni Rützler im Vorwort beschreibt, ist hierfür jedoch auch in Zucht und Anbau eine Trendwende notwendig: Nicht mehr nur Ertrag und Größe der üblicherweise verwendeten Teile, sondern die Qualität der gesamten Pflanze muss wieder in den Mittelpunkt rücken, damit Geschmack und wertgebende Inhaltsstoffe in allen Teilen hoch sind.

Fazit: Nicht zuletzt die wunderschönen Farbfotos von Sylvan Müller machen „Leaf to Root“ zu einem prächtigen, einzigartigen Kochbuch, Bildband und Nachschlagewerk. Diese kreative und naturnahe Inspirationsquelle ist ein hochwertiger Geschenktipp für (Hobby)Köche, Gärtner und Ernährungsfachkräfte.



Esther Kern, Sylvan Müller, Pascal Haag: Leaf to Root
Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel
320 S., 150 Farbfotos, 49,90 €
A T Verlag, Aarau/Schweiz, 3. Aufl. 2017

ISBN: 978-3-03800-904-7

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