© Forscher der Universität Ulm
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Neue Krankheit: Inaktives Sättigungshormon verursacht Übergewicht

  • 14.01.2015
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  • Redaktion

Ärzte und Wissenschaftler des Universitätsklinikums Ulm haben eine neue Krankheit beschrieben. Bei schwer übergewichtigem Kind konnte das biologisch inaktive Sättigungshormon Leptin als Ursache für extremes Übergewicht identifiziert werden. 

Bislang wurden Patienten mit dieser vererbten Erkrankung durch einen Bluttest identifiziert. War das Hormon Leptin in der Blutbahn nicht nachweisbar, wurde die Diagnose des Leptin-Mangels gestellt. Bei einem Kind maßen die Wissenschaftler jetzt jedoch normale, sogar hohe Werte des Hormons. Entgegen gängiger Richtlinien wurde daraufhin das Leptin-Gen untersucht und eine Mutation festgestellt. Es handele sich dabei um so genannte bioinaktive Hormone, so Professor Dr. Martin Wabitsch, Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Ulm. „Die Information des Botenstoffs kommt am Ziel nicht an. Damit wird dem Körper ein Hormonmangel vorgetäuscht, der mit herkömmlichen Verfahren nicht messbar ist, da die gemessenen Konzentrationen im Blut normal sind.“

Das Hormon Leptin (griechisch leptos = schlank) wurde 1994 in genetisch adipösen Mäusen entdeckt. Es wird im Fettgewebe in Abhängigkeit von der Fettzellgröße und der Fettmasse produziert und hemmt im Gehirn die Nahrungsaufnahme. Sind die Energiespeicher gut gefüllt, wird viel Leptin produziert und der Appetit wird gezügelt, wodurch die Fettspeicher wieder leerer werden. Kann das Hormon wegen einer Veränderung im Erbgut nicht produziert werden, erhält das Gehirn kein Sättigungssignal. In der Folge wird ungebremst Nahrung aufgenommen, und es entsteht extremes Übergewicht. Auch andere Prozesse, die an den Energiehaushalt des Körpers gekoppelt sind, werden durch Leptin beeinflusst, zum Beispiel der Zucker- und Fettstoffwechsel, die Infektabwehr, die Pubertätsentwicklung und bei Erwachsenen die Fruchtbarkeit.

„Das defekte Hormon kann keine Reduktion der Nahrungsaufnahme erzielen, während das normale, gesunde Hormon zu einer raschen Gewichtsabnahme führt“, sagt PD Dr. Pamela Fischer-Posovszky, Leiterin der experimentellen Arbeitsgruppe. Das Kind wurde daraufhin mit biotechnologisch hergestelltem Leptin behandelt. Bereits nach wenigen Tagen war eine eindeutige Wirkung zu erkennen. Die ausgeprägte Nahrungssuche und der übermäßige Appetit verschwanden vollständig. Im Verlauf der nächsten Wochen nahm der Patient deutlich an Gewicht ab, und sein Stoffwechsel gesundete zusehends. Die Forscher haben bereits weitere Patienten mit dieser Diagnose identifiziert.

Das neue Krankheitsbild und die dazugehörigen physiologischen Zusammenhänge, die Ergebnisse der durchgeführten Experimente und der Therapieerfolg wurden im renommierten medizinischen Fachjournal  „New England Journal of Medicine“ publiziert.

Literatur:
Biologically Inactive Leptin and Early-Onset Extreme Obesity
Martin Wabitsch, M.D., Ph.D., Jan-Bernd Funcke, M.Sc., Belinda Lennerz, M.D., Ursula Kuhnle-Krahl, M.D., Georgia Lahr, Ph.D., Klaus-Michael Debatin, M.D., Petra Vatter, Ph.D., Peter Gierschik, M.D., Barbara Moepps, Ph.D., and Pamela Fischer-Posovszky, Ph.D. N Engl J Med 2015; 372:48-54January 1, 2015, DOI: 10.1056/NEJMoa1406653

Foto (v. l.): Prof. Dr. med. Peter Gierschik, Institut für Pharmakologie und Toxikologie; Prof. Dr. med. Martin Wabitsch, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie; Prof. Dr. med. Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, PD Dr. rer. nat. Pamela Fischer-Posovszky, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie; PD Dr. rer. nat. Barbara Möpps, Institut für Pharmakologie und Toxikologie; M.Sc. Jan-Bernd Funcke, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie. (© Universitätsklinikum Ulm)

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