EU-Parlament stimmt über Informationen zu Lebensmitteln ab

  • 14.07.2011
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  • Redaktion

Nach jahrelangen Diskussionen darüber, welche Informationen Verbraucher in Zukunft im Supermarkt bekommen sollen, hat das EU-Parlament die Lebensmittelinformationsverordnung heute endgültig verabschiedet.

Fazit: Die Ernährungsindustrie hat sich durchgesetzt. Nicht nur keine Ampel, sondern gar keine Pflicht-Angaben zum Nährwert auf der Vorderseite. Keine Informationen über die Herkunft außer bei Frischfleisch. Mini-Schriftgröße von 1,2 Millimetern. Die Strategie der Lebensmittellobby im jahrelangen Kampf hinter den Kulissen ist aufgegangen: Verkaufspsychologen, Texter und Werbegrafiker dürfen potenzielle Kunden auf der Produktvorderseite weiter nach Lust und Laune verführen und verwirren. Angaben zum Nährwert müssen sich zwar auf einheitliche 100 Gramm bzw. Milliliter beziehen, dürfen aber auf der Rückseite der Verpackung im Kleingedruckten versteckt werden. Um die verpflichtende Nährwert-Ampel zu verhindern, hatte die Ernährungsindustrie eine Milliarde Euro investiert.

Industrie verhindert weiterführende Herkunftsangaben

Auch eine echte Transparenz über die Herkunft der wichtigsten Zutaten ist erst einmal vom Tisch. Das sah bei der ersten Lesung im Europaparlament noch anders aus. Die Parlamentarier wollten verpflichtende Herkunftsangaben auch für Milch und Milchprodukte sowie für Produkte, die hauptsächlich aus einer Zutat bestehen. Bei Fleisch und Fisch sollte es auch dann Angaben zur Herkunft geben, wenn diese in verarbeiteten Produkten stecken. Die Lebensmittel-Lobby war empört. In einer Pressemitteilung sprach der Spitzenverband der deutschen Ernährungsindustrie (BLL) dem Parlament für seine Entscheidung einen Tadel aus: „Das Votum für eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Zutaten bei verarbeiteten Lebensmitteln rügte der BLL (...) als zu weitgehend“, hieß es.

Der industrielle Parlamentsrüffel hat Wirkung gezeigt: Im als „Trilog“ bezeichneten Einigungsprozess mit Ministerrat und EU-Kommission wurden alle Herkunftsangaben außer zu Frischfleisch wieder gekippt, alle weiteren Fragen werden in den nächsten Jahren von der Kommission in Arbeitsgruppen geprüft. Die Industrie darf sich freuen und lobt per Pressemitteilung: „Lebensmittelwirtschaft begrüßt Votum des Europäischen Parlaments“.

Folgendes wurde vom Parlament beschlossen:

Nährwertkennzeichnung: Für die Angabe von Nährwerten wie Zucker, Fett und Salz soll nicht nur auf die leicht verständliche Kennzeichnung mit den Ampelfarben verzichtet werden. Auf der Vorderseite müssen Hersteller gar keine Angaben zum Nährwert machen. Lediglich für die Rückseite sollen Zahlenangaben in einer Tabelle vorgeschrieben werden. Hersteller können den Verbrauchern also weiterhin auf der Produktvorderseite „Fitness“ und „leichte Zwischenmahlzeiten“ versprechen, die Nährwerte aber auf der Rückseite im Kleingedruckten verstecken. Immerhin müssen sich die Angaben dort auf einheitliche 100 Gramm bzw. Milliliter beziehen.

Herkunftskennzeichnung: Nur bei Frischfleisch soll die Angabe der Herkunft Pflicht werden. Verbraucher werden also weiterhin nicht erfahren, in welcher Region die Kühe auf der Weide standen, deren Milch sie kaufen; sie werden nicht darüber informiert, woher das Fleisch stammt, aus dem die Wurst ist oder woher die Erdbeeren in der Marmelade kommen.

Schriftgröße: Die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments Dr. Renate SOMMER (CDU) jubelte in einer Pressemitteilung: „Alle Pflichtangaben müssen in Zukunft lesbar sein.“ Wenn das schon als Fortschritt für die Verbraucher gefeiert wird, ist das entlarvend. Bei einer Schriftgröße von 1,2 Millimetern (oder sogar nur 0,9 Millimetern bei kleineren Packungen) würden viele Menschen weiter Probleme haben, die Inhaltsangaben ohne Lupe zu entziffern. Von einer guten Lesbarkeit könne keine Rede sein.

Im Europäischen Parlament hat sich zwar eine Reihe von Abgeordneten redlich um mehr Verbraucherrechte durch bessere Kennzeichnungsregeln bemüht. Doch die Machtverhältnisse in Europa liegen anders. Industrievertreter rüffeln das Parlament und lassen sich Alibizugeständnisse bei der Kennzeichnung von Allergenen und bei kleingedruckten tabellarischen Nährwertkästchen abringen. Und der Ministerrat setzt die Interessen der Industrie durch. foodwatch wird hier auch in Zukunft gegenhalten. Quelle: Pressemitteilung foodwatch vom 06.07.11 (14.07.11)

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