Nahmen die Mäuse eine Mixtur aus ausgewählten Bakterienstämmen ein oder absolvierten sie ein freiwilliges Training im Mäuse-Laufrad, wurden die negativen Wirkungen der Antibiotika rückgängig gemacht. © gueritos / iStock / Thinkstock

Forschung: Warum eine intakte Darmflora geistig fit hält

  • 24.05.2016
  • News
  • Redaktion

Darm und Hirn „reden“ miteinander: über Hormone, Stoffwechselprodukte oder direkte Nervenverbindungen. Dr. Susanne Wolf vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) hat an Mäusen herausgefunden, dass eine spezielle Sorte Immunzellen dabei den Vermittler spielt.

Der Hippocampus nach Behandlung mit Antibiotika unter dem Mikroskop: Nur wenige neue Zellen (rot) werden gebildet. © Susanne Wolf/MDC

Im Mausmodell schaltete Wolf zusammen mit Kollegen der Universität Magdeburg, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) das Mikrobiom mit einem Antibiotika-Cocktail aus. Verglichen mit unbehandelten Tieren beobachteten die Forscher daraufhin deutlich weniger neu gebildete Nervenzellen in der Hippocampus-Region des Gehirns. Auch das Gedächtnis der Mäuse verschlechterte sich, denn diese Bildung neuer Hirnzellen – „Neurogenese“ genannt – ist wichtig für bestimmte Gedächtnisleistungen.

Bei ausgeschaltetem Mikrobiom ging zusammen mit der Neurogenese auch die Zahl einer bestimmten Immunzellen-Population im Gehirn deutlich zurück, die der Ly6C(hi)-Monozyten. Könnten diese Immunzellen ein bislang unbekannter Vermittler zwischen den Organsystemen sein? Wolf und ihr Team testeten und bestätigten diese Hypothese: Entfernten sie nur diese Zellen aus den Mäusen, verringerte sich die Neurogenese ebenfalls. Verabreichte sie den mit Antibiotika behandelten Tieren Ly6C(hi)-Monozyten, nahm die Neurogenese wieder zu.

Vermittlerfunktion der Immunzellen besonders interessant
Der Hippocampus von unbehandelten Tieren, die trainiert haben: Zahlreiche Zellen bilden sich neu. © Susanne Wolf/MDC

Die Forscher kurierten die Antibiotika-behandelten Tiere mit zwei unterschiedlichen Strategien: Nahmen die Mäuse eine Mixtur aus ausgewählten Bakterienstämmen ein oder absolvierten sie ein freiwilliges Training im Mäuse-Laufrad, wurden die negativen Wirkungen der Antibiotika rückgängig gemacht. Die Monozytenzahl erholte sich ebenso wie die Gedächtnisleistung und Neurogenese. Eine Wiederherstellung der Darmflora mit dem Mikrobiom unbehandelter Tiere war nicht erfolgreich.

Wissenschaftlich besonders interessant ist die bisher unbekannte Vermittlerfunktion der Immunzellen, so Susanne Wolf. Mit den Ly6C(hi)-Monozyten hätten die Beteiligten vielleicht einen neuen generellen Kommunikationsweg von der Peripherie ins Hirn entdeckt.

Übertragen auf den Menschen bedeuten die Ergebnisse nicht etwa, dass alle Antibiotika die Gehirnfunktion stören, denn die verwendete Kombination von Medikamenten war extrem stark. „Möglicherweise sind aber ähnliche Effekte bei Therapien mit Antibiotika über einen langen Zeitraum zu erwarten“, sagt Wolf. Auch ohne Umweg über die Darmflora wirken die Antibiotika auf die Neurogenese, wie weitere Ergebnisse des Forscherteams zeigen.

Quelle: MDC INSIGHTS



Literatur:
 Luisa Möhle, Daniele Mattei, Markus M. Heimesaat, Stefan Bereswill, André Fischer, Marie Alutis, Timothy French, Dolores Hambardzumyan, Polly Matzinger, Ildiko R. Dunay and Susanne A. Wolf (2016): „Ly6Chi monocytes provide a link between antibiotic-induced changes in gut microbiota and adult hippocampal neurogenesis.“ Cell Reports. DOI: 10.1016/j.celrep.2016.04.074

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