Gut besucht: 320 Teilnehmer kamen an die HAW Hamburg. © Christian Augustin

Rückblick 14. Dreiländertagung: Wissenschaft und ihre Kontroversen

  • 24.10.2016
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Am 6. und 7. Oktober 2016 trafen sich Ernährungsexperten zur 14. Dreiländertagung der Fachgesellschaften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Die Tagung zeigte deutlich: Wissenschaftliche Ergebnisse können für Verwirrung sorgen und sollten fachlich korrekt bewertet werden.

Volles Haus im Norden: Mit 320 Teilnehmern war die Kooperationstagung der Ernährungsgesellschaften aus Deutschland (DGE), Österreich (ÖGE) und der Schweiz (SGE) frühzeitig ausgebucht. Das Leitziel der Veranstaltung ließ schon vorab auf breites Interesse schließen, schließlich sollten kontroverse Ernährungsthesen wie die optimale Proteinzufuhr oder der Effekt von rotem Fleisch auf Dickdarmkrebs auf den Prüfstand gestellt werden. Der Umgang und die Interpretation von viel diskutierten Lebensmittelgruppen sind sowohl für Wissenschaft und Forschung als auch für die praktische Ernährungsbildung und -beratung von Bedeutung. Dies machte sich auch in den zahlreichen Wortmeldungen und Rückfragen aus dem Plenum bemerkbar, das aktiv den Dialog mit den Referenten suchte.

Wie evidenzbasiert sind von der Industrie finanzierte Studien?
Kimber Stanhope am Rednerpult.
Kimber Stanhope. © Christian Augustin

Begrüßt wurden die Teilnehmer von Prof. Dr. Claus-Dieter Wacker, geschäftsführender Präsident der HAW Hamburg, Helmut Heseker, Professor für Ernährungswissenschaft an der Universität Paderborn und Herausgeber der ERNÄHRUNGS UMSCHAU sowie Ulrike Arens-Azevêdo, Professorin für Ernährungswissenschaften und Gemeinschaftsverpflegung an der HAW und neue Präsidentin der DGE (gewählt am 6.10.2016).

Die Auftaktrede hielt die Wissenschaftlerin mit der weitesten Anreise: Kimber Stanhope von der UC Davis School of Veterinary Medicine in den USA fokussiert in ihrer Forschung vorrangig klinische Studien, die die Auswirkungen von Ernährung auf die Entwicklung von Stoffwechselerkrankungen beschreiben. In Hamburg referierte sie zu Zuckerkonsum, Stoffwechselkrankheiten und Adipositas und machte unter anderem auf die Problematik industriefinanzierter Studien in den USA aufmerksam. Die Industrie habe es dabei auf Organisationen wie die American Society of Nutrition und die Academy of Nutrition and Dietetics abgesehen und sponsere diese, so Stanhope. „Solange die ‚perfekte Studie‘ nicht existiert, wird die Industrie immer auch Wissenschaftler finden und unterstützen, die später aussagen, dass es keine klaren Beweise dafür gibt, dass etwa Zuckerzusätze im Verhältnis zu anderen Kalorienquellen eine schädlichere Auswirkung auf die Entwicklung von Adipositas oder Diabetes haben.“

Begrüßt wurden die Teilnehmer von Prof. Dr. Claus-Dieter Wacker, geschäftsführender Präsident der HAW Hamburg, Helmut Heseker, Professor für Ernährungswissenschaft an der Universität Paderborn und Herausgeber der ERNÄHRUNGS UMSCHAU sowie Ulrike Arens-Azevêdo, Professorin für Ernährungswissenschaften und Gemeinschaftsverpflegung an der HAW und neue Präsidentin der DGE (gewählt am 6.10.2016). Die Auftaktrede hielt die Wissenschaftlerin mit der weitesten Anreise: Kimber Stanhope von der UC Davis School of Veterinary Medicine in den USA fokussiert in ihrer Forschung vorrangig klinische Studien, die die Auswirkungen von Ernährung auf die Entwicklung von Stoffwechselerkrankungen beschreiben. In Hamburg referierte sie zu Zuckerkonsum, Stoffwechselkrankheiten und Adipositas und machte unter anderem auf die Problematik industriefinanzierter Studien in den USA aufmerksam. Die Industrie habe es dabei auf Organisationen wie die American Society of Nutrition und die Academy of Nutrition and Dietetics abgesehen und sponsere diese, so Stanhope. „Solange die ‚perfekte Studie‘ nicht existiert, wird die Industrie immer auch Wissenschaftler finden und unterstützen, die später aussagen, dass es keine klaren Beweise dafür gibt, dass etwa Zuckerzusätze im Verhältnis zu anderen Kalorienquellen eine schädlichere Auswirkung auf die Entwicklung von Adipositas oder Diabetes haben.“

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Proteine im Fokus
Aus Zürich angereist: Heike Bischoff-Ferrari. © Christian Augustin

Das Programm wurde über die beiden Veranstaltungstage in die drei übergeordneten Blöcke Makronährstoffe, Mikronährstoffe und kontrovers diskutierte Lebensmittel eingeteilt. Neben Stanhope referierte im Block Mikronährstoffe auch Prof. Dr. Peter Stehle von der Universität Bonn zu Proteinen und ihrer Zufuhr. Der Ernährungswissenschaftler warf die Frage auf, ob die Referenzwerte für die Proteinzufuhr einer Neubewertung unterzogen werden sollten. Aufgrund der erheblichen Entwicklungen im Bereich Methodik, Ernährungsphysiologie und -medizin sei, so Stehle, eine Überarbeitung der Referenzwerte für Protein unumgänglich, denn dabei seien tatsächlich veränderte Werte zu erwarten. Im Zusammenhang mit der Neubewertung von Protein sollte demnach auch das Konzept der „Nährwertrelation“ überdacht werden.

Klauen Proteine Kalzium aus den Knochen? Im Bereich der Mikronährstoffe zeigte die schweizerische Professorin Heike Bischoff-Ferrari eine Präsentation zum Thema Vitamin D, Kalzium und Knochengesundheit und räumte mit dieser Fehlannahme zur Knochendichte auf. „Erste Calcium-Balance-Studien zeigten zwar, dass eine hohe Proteinzufuhr auch die Kalzium-Ausscheidung erhöht. Die weitere Forschung hat allerdings Spekulationen zur Knochendichte relativiert und erwiesen, dass Personen mit einer höheren Proteinzufuhr eine höhere Bone Mineral Density und somit weniger Knochenabbau hatten“, sagte die Expertin für Geriatrie und Altersforschung von der Universität Zürich.

Erbgutschädigende Stoffe als Auslöser für Dickdarmkrebs

Nach einer Evaluation der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) 2015 zum Zusammenhang zwischen dem Konsum von rotem Fleisch und verschiedenen Krebserkrankungen, wurde verstärkt über erbgutschädigende Stoffe als Ursache berichtet. Diese sind etwa polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, heterocyclische aromatische Amine, exogen gebildete N-Nitrosoverbindungen und endogen gebildete Nitrosoverbindungen. Prof. Dr. Pablo Steinberg von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover erläuterte hierzu anschaulich, dass aufgrund der sehr geringen mit der Nahrung zugeführten Mengen an heterocyclischen aromatischen Aminen das mit der Zufuhr verbundene Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken, als sehr gering einzustufen ist. Anders verhält es sich dagegen mit endogen gebildeten Nitrosoverbindungen: Die Bildung von Nitrosyl-Häm und S-Nitrosothiol im Stuhl steigt sehr stark nach Verzehr von rotem Fleisch an und ist hier mit einem erhöhten Risiko für Dickdarmkrebs assoziiert.

Mikrobiom und Ernährung
Dirk Haller
Dirk Haller forscht zu Darmgesundheit. © Christian Augustin

Als regelrechtes Trendthema im Bereich kontrovers diskutierter wissenschaftlicher Ergebnisse kann die Mikrobiom-Forschung bezeichnet werden. Prof. Dr. Dirk Haller, Direktor des ZIEL – Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung an der TU München, sieht das Mikrobiom allerdings als „fundamentales Forschungsgebiet, das wir noch nicht kennen“. Zentrale Frage: Welchen Einfluss hat die Ernährung und auf das Mikrobiom und ist die Mikrobiota im Darm als Ursache oder Mitläufer von Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 anzusehen?

Haller diskutierte verschiedene Adipositas-Kontroversen und gab zunächst eine Einschätzung dazu ab, ob Adipositas mit Entzündung und Verlust der Barriere im Darm assoziiert ist. Die derzeitige Datenlage lässt keine eindeutige Aussage zu – Haller plädiert daher für „Nein“. Auch die Frage, ob sich Adipositas über Stuhltransfer von Mensch auf Maus übertragen lässt, sieht der Spezialist kritisch. „Vielleicht ist dies möglich, aber auch hier gibt es eine zu kontroverse Datenlage.“ Gesichert ist dagegen, dass keimfreie Mäuse nicht resistent gegenüber diätinduzierter Adipositas sind. Dies sei abhängig von der Art der Diät.

Die Highlights der Dreiländertagung waren abschließend nicht nur die informativen Vorträge, sondern auch die Verleihung der diesjährigen Journalisten-Preise. Die Oecotrophologin und Food-Journalistin Dagmar von Cramm überreichte als Mitglied im wissenschaftlichen Präsidium der DGE die Auszeichnungen in den Kategorien Tages- und Wochenzeitungen, Publikumszeitschriften, Hörfunk, Fernsehen und Internet. Themenschwerpunkte in diesem Jahr waren Lebensmittelunverträglichkeiten, metabolisches Syndrom, Lebensmittelverschwendung und das Wintergemüse Kohl. Nähere Informationen und ein Bild der Preisträger hat die DGE auf ihrer Website veröffentlicht.

mya

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