Geldschneiderei: Es gibt keinen Nachweis dafür, dass Pflanzenextrakte oder Nahrungsergänzungsmittel vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen. © InnaDodor/iStock/GettyImages

Coronavirus: Nahrungsergänzungsmittel schützen nicht vor Infektion!

  • 27.03.2020
  • News
  • Dr. Sabine Schmidt

Zur Behandlung der COVID-19-Erkrankung durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 gibt es noch keine Arzneimittel, ebenso keine Schutzimpfungen. Hier springen Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) in die Bresche und werben damit, dass mit einer Einnahme ihrer Mittel einer Infektion mit dem Virus vorgebeugt werden könne.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (VZ NRW) warnen die Verbraucherinnen und Verbraucher hiervor ausdrücklich – sie würden durch solche Aussagen in die Irre geführt und getäuscht.

Die wichtigsten Infos:

  • Es gibt kein Nahrungsergänzungsmittel, dass eine Infektion mit dem Virus verhindern kann.
  • Nahrungsergänzungsmittel dienen nicht der Vorbeugung oder Behandlung von Erkrankungen.
  • Eine gesundheitsbezogene Werbung wie "schützt vor Viren" ist verboten.
  • Es gibt keine wissenschaftlichen Studien, die eine Wirksamkeit von bestimmten Pflanzen, Vitaminen oder Mineralstoffen gegen COVID-19 beweisen. Wenn Studien zitiert sind, beziehen sich diese auf andere Viren.

Verbotene und irreführende Gesundheitsaussagen auf NEM

Nahrungsergänzungsmittel zählen zu den Lebensmitteln Lebensmitteln dürfen keine Informationen über Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zugeschrieben werden. Auch irreführende Aussagen sind verboten. Das heißt, es ist verboten, einem Lebensmittel Wirkungen oder Eigenschaften zuzuschreiben, die es nicht besitzt. Angaben zur Verringerung eines Krankheitsrisikos sind nur dann erlaubt, wenn es sich um gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der Health-Claims-Verordnung (HCVO) handelt. Dafür müssen wissenschaftliche Wirknachweise vorliegen, diese liegen in Bezug auf das neuartige Corona-Virus nicht vor! (Tipp: Die ERNÄHRUNGS UMSCHAU veröffentlicht im Juniheft 2020 einen ausführlichen Artikel zu Inhalten und praktischer Anwendung der Health-Claims-Verordnung!)

Schutz durch Abwehr oder Desinfektion?

Werbeaussagen wie „Es gibt bestimmte Pflanzen, Getränke und Vitamine, die du zu dir nehmen kannst, um jeden viralen und bakteriellen Eindringling abzuwehren, einschließlich des neuartigen Coronavirus." oder auch „Die enthaltenen komplexen Polyphenole haben die Eigenschaft, Viren, Bakterien und freie Schwermetalle weitgehend zu umhüllen und damit aus dem Verkehr zu ziehen.“, gefunden von der VZ NRW, suggerieren nicht nur eine falsche Sicherheit, sie sind auch wissenschaftlich gesehen falsch. Als Wirkstoffe werden bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole oder Senföle genannt. Wichtig zu wissen: Extrakte sind bei Nahrungsergänzungsmitteln (im Gegensatz zu Arzneimitteln) nicht definiert, kein Extrakt gleicht dem anderen und vermutlich keiner davon dem in zitierten Studien verwendeten Wirkstoff.

Die Recherche der VZ NRW ergab, dass sich derzeit im Internet, in manchem Reformhaus und evtl. von einigen selbstständigen Firmenvertretern ("Ernährungsberatern") solche und ähnliche Aussagen für Nahrungsergänzungsmittel mit Grüntee (bzw. dem Inhaltsstoff Epigallocatechinagallat EGCG), Cistus (Zistrosenkraut), Propolis, Kapuzinerkresse oder Schwarze Johannisbeere (Blattknospen). Auch zahlreiche Lebensmittel werden fälschlicherweise als hilfreiche Hausmittel angepriesen. Aktuell kursierten auch riskante Tipps dazu, dass man sich mit dem gefährlichen MMS (Miracle Mineral Supplement), teilweise auch CDL (Chlordioxidlösung) genannt, vor dem Coronavirus schützen kann. Die VZ warnt: „Dies ist ein Desinfektionsmittel und dient zum Bleichen von Textilien! Nicht einnehmen, gefährlich!“ Davon einmal abgesehen nütze es auch nichts gegen das COVID-19-Virus, genauso wenig wie Arsen in homöopathischen Dosen.

Schutz durch Stärkung des Immunsystems?

Die Vitamine D und C, aber auch Folat, B12, B6 und Vitamin A tragen wissenschaftlich bewiesen zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei. Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel, die bestimmte Mengen dieser Vitamine enthalten, dürfen mit genau dieser Aussage auch werben. Dazu sind aber normalerweise keine hoch dosierten Supplemente nötig Wenn wirklich eine Ergänzung benötigt wird, sollte auf eine sichere Dosierung geachtet werden. Auch Mineralstoffe wie Selen, Zink, Eisen und Kupfer sind wichtig für ein normales Immunsystem. Sie steigern die Aktivität des Immunsystems aber nur, wenn vorher ein Defizit bestanden hat. Als Immunsystem stärkend gelten auch Vitalpilze wie Cordyceps. Da die Studien mit bestimmten Pilzzubereitungen durchgeführt wurden, lässt sich eine Wirkaussage für einzelne Nahrungsergänzungsmittel daraus nicht ableiten. In der aktuellen Krise scheuen sich Anbieter laut Recherche der VZ auch nicht, das als Lebens- bzw. Nahrungsergänzungsmittel nicht erlaubte Cannabidiol (CBD) als Hilfsmittel gegen Corona anzubieten. Es würde zwar keine COVID-19-Patienten heilen, wohl aber das sogenannte Endocannabinoid-System stärken (ein sog. Cannabinoid-Rezeptor [CB2] findet sich auf Zellen des Immunsystems). CBD könnte damit „das Potential haben“, „bei Viruserkrankungen ein wichtiger Baustein bei der Behandlung oder auch der Prävention zu sein“. Der wissenschaftliche Nachweis steht aus.

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), eine dem BMEL nachgeordnete Behörde, hat angekündigt, sich an die Betreiber verschiedener Plattformen zu wenden und diese aufzufordern, verstärkt auf Angebote unzulässiger „Corona-Nahrungsergänzungsmittel“ zu achten und diese nicht mehr zum Verkauf anzubieten. Die Kontrolle derartiger Angebote fällt allerdings in die Zuständigkeit der Länder, eine Aufforderung zur Löschung auf Bundesebene ist laut BMEL nicht möglich.

Weitere Infos:

BVL: häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Coronavirus
VZ Nordrhein-Westfalen: Corona: COVID-19, die Folgen und Ihre Rechte


Quellen:

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Coronavirus: Bundesernährungsministerium warnt vor Nahrungsergänzungsmitteln mit irreführenden Angaben. Pressemeldung vom 20.03.2020
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: Coronavirus: Was können Nahrungsergänzungsmittel? Pressemitteilung vom 16.03.2020

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