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Interview: Welchen Einfluss hat der Schuleintritt auf die Gesundheit von Kindern?

Leiter des Projekts: Univ.-Prof. Dr. Michael S. Urschitz / Bild: privat
Leiter des Projekts: Univ.-Prof. Dr. Michael S. Urschitz / Bild: privat

Interview mit Univ.-Prof. Dr. Michael S. Urschitz

Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Im Herbst 2014 haben wieder viele Eltern in Rheinland-Pfalz ihre Kinder für das Schuljahr 2015/16 an den Grundschulen angemeldet. Parallel dazu beginnt das Forschungsprojekt „ikidS“ 2015 („ich komme in die Schule“), für das Eltern aus Mainz und Umgebung einen Fragebogen zur Erfassung der Gesundheit ihres Kindes erhalten. Diesen Fragebogen haben der schulärztliche Dienst der Kreisverwaltung Mainz-Bingen und Wissenschaftler des Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) der Universitätsmedizin Mainz gemeinsam ausgearbeitet. Er soll den Gesundheitszustand der zukünftigen Erstklässler dokumentieren. Das Projekt ist auf eine Dauer von zwei Jahren ausgelegt. Die ERNÄHRUNGS UMSCHAU hat mit Univ.-Prof. Dr. Michael Urschitz, Kinderarzt, Epidemiologe und Leiter des Projekts über den Ablauf und die Ziele des Projekts gesprochen.

Für das Schuljahr 2015/16 haben Sie zur Teilnahme am Projekt ikidS aufgerufen. Warum sollten Eltern an der Befragung teilnehmen?
Prof. Dr. Michael S. Urschitz: Es gibt bislang nur wenige Erkenntnisse darüber, welchen Einfluss der Schulbeginn auf die Gesundheit von Kindern hat oder welchen Einfluss der Gesundheitszustand auf den Schulerfolg der Kinder nimmt. Durch unser Projekt erfahren die Eltern etwas über gesundheitliche Veränderungen bei ihrem Kind rund um die Einschulung. Zum anderen können das Gesundheits- und das Bildungsministerium Rheinland-Pfalz die Ergebnisse für künftige Planungen zur Verbesserung der Versorgung der Kinder beim Eintritt in die Schule nutzen.

Wie wollen Sie eine repräsentative Teilnehmerzahl erreichen?
Urschitz: In einer Pilotphase an 15 Schulen im Raum Mainz haben wir bereits eine Vorstudie durchgeführt. Hier gab es eine gute Teilnehmerquote von ca. 60 Prozent.
Für die Hauptphase wenden wir uns an alle rund 3500 Eltern an den 78 Grund- und Förderschulen im Landkreis Mainz-Bingen und der Stadt Mainz, deren Kinder 2015 in die erste Klasse eingeschult werden, um für die Teilnahme an dem Projekt zu werben.

Wie gehen Sie danach weiter vor?
Urschitz: Wir befinden uns jetzt bereits in der Hauptphase, das heißt, die Eltern haben den Fragebogen vom Gesundheitsamt bei der Anmeldung ihres Kindes an der Grundschule erhalten. In diesem Fragebogen machen sie unter anderem Angaben zu den Vorerkrankungen ihres Kindes und bringen ihn zur Schuleingangsuntersuchung mit. Bevor die Kinder 2015 in die Schule kommen, erfragen wir weitere gesundheitliche Aspekte mit einem eigenen Fragebogen.

Auf welche gesundheitsrelevanten Lebensbereiche der Kinder gehen Sie in der Befragung ein?
Urschitz: Wir befragen die Eltern zur Lebensqualität ihres Kindes, zu Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten, zu Schlafstörungen und Verhaltensproblemen, sowie zum Freizeitverhalten. Zur gesundheitlichen Vorgeschichte eines Kindes zählt aber noch einiges mehr.

Zum Beispiel?
Urschitz: Wir wollen unter anderem wissen, wie die Kinder vor der Einschulung betreut wurden und wie oft sie krank waren. Außerdem spielen Fernsehkonsum und Freizeitverhalten eine Rolle, wie oft sich die Kinder bewegen und was sie essen. Das fängt ja bereits nach der Geburt mit dem Stillen an. Es kann sein, dass ein Kind kein Fleisch, Fisch oder keine Milchprodukte isst. Außerdem erheben wir das seelische Wohlbefinden der Kinder, ihre Stärken und Schwächen und wie sie mit anderen Kindern agieren. Dazu zählt auch, ob sie gehänselt werden oder Ängste haben. Die Untersuchung verbindet also zahlreiche Faktoren, die für eine Erkrankung des Kindes ursächlich sein können.

Welches Ziel treibt Sie an?
Urschitz: Auf jeden Fall möchten wir gesundheitlich benachteiligten Kindern helfen und die Schuleingangsuntersuchung mit unseren Ergebnissen weiter optimieren. Zum Beispiel wird „ikidS“ zeigen, ob bestimmte Krankheitsbilder eine intensivere Gesundheitsversorgung oder Förderung benötigen. Wir vermuten, dass hier noch Bedarf besteht. Für Gesundheitsamt und Eltern ist es wichtig zu erfahren, ob ein Kind durch eine chronische Erkrankung Nachteile beim Schulstart hat und wie man diese verhindern oder minimieren könnte. Auch ist noch wenig über den sozialen oder psychischen Druck bekannt, der auf die Kinder zukommt, wenn ein Wechsel vom Kindergarten in die Grundschule ansteht.

Wie bauen die Projektphasen nach der Einschulung aufeinander auf?
Urschitz: Geplant ist, dass unser Forscherteam die Entwicklung der Kinder über einen Zeitraum von einem Jahr begleitet. Nachdem die Eltern vor der Einschulung einen Fragebogen beantwortet haben, folgen zwei weitere: einer im November 2015 und einer im Juni 2016. Insgesamt ist das Projekt für drei Jahre finanziert.

Mit welchen Mitteln wird „ikidS“ finanziert?
Urschitz: Die Studie wird ausschließlich aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert. In unserem Team arbeiten neun Personen, darunter Ärzte, eine Psychologin, zwei Statistikerinnen und Dokumentarinnen.

Wird es eine wiederholte Befragungswelle geben?
Urschitz: Zunächst streben wir eine Verlängerung des Projektes um weitere drei Jahre an, um die Kinder bis zur 4. Klasse zu begleiten. Die gesammelten Daten könnten dann Aufschluss geben über Zusammenhänge zwischen den Erkrankungen der Kinder und ihrem Schulerfolg. Mit den Ergebnissen werden wir weitere Projekte vorbereiten, in denen konkrete Interventionen im medizinischen oder pädagogischen Bereich getestet werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch für die Ernährungs Umschau führte Myrna Apel.

Weitere Informationen zum "ikidS"-Projekt >> hier

Kontakt:
Prof. Dr. Michael S. Urschitz
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI)
E-Mail: urschitz@uni-mainz.de

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