Wildgemüse sammeln erfordert Zeit und botanisches Wissen. © Fuse/Thinkstock

Neue Serie: Wildgemüse in der Ernährung

Was heute eher exotisch oder als Luxus empfunden wird, war früher eine lebensnotwendige Ergänzung der täglichen Kost: die Verwendung von Wildkräutern, Wildpflanzen oder Wildfrüchten. Für ONLINE PLUS schreibt die Expertin Christine Brombach von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften über die vielseitige Wirkung heimischer Wildgemüse und liefert passende Rezepte zum Nachkochen.

Prof. Dr. Christine Brombach lehrt am Institut für Life Sciences und Facility Management der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. © ZHAW

Das Wissen um die Verwendung, Sammelorte und Nutzung von Wildgemüsen, wurde innerhalb der Familie weitergegeben. Meist war es die Aufgabe der Kinder, Wildgemüse zu sammeln, welches dann zum unmittelbaren Verzehr zubereitet wurde. Die ersten Wildkräuter boten im Frühjahr eine willkommene und notwendige Vervollständigung der Familienkost, bis die ersten angebauten Gemüse wieder den Tisch bereicherten. Die Kenntnis von Wildkräutern und deren Verwendung als Haus- und Heilmittel als wichtige Nahrungsergänzung nach den Wintertagen gehörte daher vielerorts zum traditionellen Wissen.

Der Übergang bei der Verwendung von Wildgemüse oder Heilpflanze ist fließend. In der bäuerlichen Kultur wurden dabei oft beide Aspekte miteinander verbunden, etwa bei der Zubereitung von Tee, ölhaltigen Auszügen, die sowohl verdauungsfördernd als auch wohlschmeckend waren oder auch bei Kräuterlikören, Essigessenzen oder Würzmischungen.

Für die meisten Wildpflanzen gibt es nur ungenaue Nährwertangaben, da der Gehalt der Nährstoffe sehr stark vom Boden, klimatischen Verhältnissen und den jeweiligen örtlichen Bedingungen abhängt. Wo es möglich ist, werden Nährwertangaben aufgeführt. Wildpflanzen können in der Regel nicht gekauft, sondern nur gesammelt werden. Das macht ihre Verwendung sehr speziell: Man isst, was man selbst gesucht hat!

Vor dem Sammeln informieren

In loser Folge sollen im Folgenden verschiedene heimische Wildpflanzen vorgestellt werden, die meist auch als Heilpflanzen angewendet werden können. Voraussetzung für jedes Sammeln ist, sich zuvor gründlich über die Pflanze zu informieren, damit mögliche Verwechslungen ausgeschlossen werden (siehe besondere Hinweise bei den Pflanzenporträts). Auch sind jeweilige Standorte zu meiden, die durch Straßenverkehr oder Abfälle belastet sein können. Es sollten immer nur so viele Pflanzen gesammelt werden, wie zum Verzehr gebraucht werden.

Bitte beachten: In Naturschutzgebieten ist das Sammeln aller – auch häufiger – Wildpflanzen untersagt (gilt auch für Pilze). Zur Vermeidung von Infektionen mit anhaftenden Krankheitserregern sollten alle gesammelten Pflanzenteile selbstverständlich gründlich gewaschen werden.

Giersch (Aegopodium podagraria)
Der Geschmack von Giersch erinnert an Petersilie. © Atide/iStock/Thinkstock

Giersch gehört zur Familie der Doldengewächse. Es ist ein anspruchsloses aber stark wucherndes Gewächs, welches bei vielen Gärtnern unbeliebt ist, weil es sich durch die unterirdischen Triebe stark ausbreitet. Im Mittelalter und auch in Notzeiten wurde es als Salat oder auch Gemüse verwendet, es ähnelt im Geschmack der Petersilie und erinnert an Spinat.

Die frühen ersten Blätter, die ab April gesammelt werden können, sind noch zart und weniger herb als die späteren Blätter. Das Kraut kann fast bis in den Herbst gesammelt werden, allerdings wird der Geschmack im Verlauf der Vegetationszeit zunehmend kräftiger und auch bitter. Werden junge Blätter zwischen den Fingern zerrieben, verströmen sie einen herben, petersilienartigen Duft.

Bitte beachten: Giersch und auch der wilde Wiesenkerbel können mit dem stark giftigen und unangenehm riechenden gefleckten Schierling (Conium maculatum) verwechselt werden! Dieser besiedelt ähnliche Standorte.

Verwendung: Frische, junge Blätter können als Zugabe zu Salat verwendet werden. Gekocht kann Giersch als  Gemüse wie Spinat zubereitet werden. Empfehlenswert ist jedoch eine Mischung mit Spinat, da der Geschmack sonst zu bitter wird. Feingehackt kann Giersch in einen Frühlingskräuterquark beigefügt werden: 2 EL feingehackter Giersch, 2 EL Petersilie, 1 EL feingehackte Gänseblümchen (Grundrosette), ½ Knoblauchzehe, 1 gekochtes Ei, Salz, Pfeffer mit 250 Gramm Speisequark fein verrühren, nach Belieben noch mit 1 Tl Öl verfeinern. Giersch passt sehr gut auch auf frisches Roggenbrot und zu Pellkartoffeln. Variante: Statt Quark mit 500 ml Jogurt in den Mixer geben und als Lassie trinken.

Holunder (Sambucus)
Holunderblüten helfen als Tee bei Fieber und Erkältung. © RuudMorijn/iStock/Thinkstock

Holunder ist im Süddeutschen auch als Holder oder Holler bekannt und seit jeher eine geschätzte Pflanze. Sie galt früher als eine Art „Glücksbringer“, die nicht einfach entfernt werden durfte. Genießbar nach Erhitzen sind nur die Früchte und Blüten des Schwarzen Holunder (Sambucus nigra). Der Trauben-Holunder (Sambucus racemosa) sowie der Stauden-Holunder (Sambucus ebulus) sind ungenießbar bzw. giftig.

Mittlerweile gibt es großfruchtige Sorten des schwarzen Holunders für die Gartenkultur. Alle Holunderarten enthalten das cyanogene Glykosid Sambunigrin und sind daher bei Rohverzehr schwach giftig (Symptome: Kopfschmerzen, Erbrechen und Diarrhöe).

Blüten und Beeren lassen sich in vielfältiger Weise verwenden, als genussvolle Ergänzung ebenso wie als Heilpflanze. Zum Beispiel können die Blüten als Tee bei Fieber und Erkältung verwendet werden. Hierfür 2 TL Holunderblüten mit 250 ml kochendem Wasser überbrühen und zehn Minuten ziehen lassen. Mit 1 TL Honig serviert langsam trinken. Holunderblüten können außerdem zu einem wohlschmeckenden Sirup oder Holunderblütensekt verarbeitet werden.

Holunderblütensirup: Zwei Handvoll frische Blütendolden (möglichst alle Stängel entfernen) mit 1 Liter abgekühltem Zuckersud übergießen. Saft und abgezogene Schale von 2 unbehandelten Zitronen beigeben. Für den Zuckersud 1 Liter Wasser und 1 Kg Zucker aufkochen. Über Nacht stehen lassen. Am nächsten Tag abseihen und den Sirup 10 Minuten sprudelnd kochen. Heiß in sterile Schraubgläser einfüllen und Deckel sofort schließen und abkühlen lassen. Den Sirup 1:10 mit Sprudelwasser verdünnt genießen.

Löwenzahn (Taraxacum)
Löwenzahnblüten werden in Honig eingelegt und der Extrakt gegen Halsschmerzen und Husten eingesetzt. © Neonci/iStock/Thinkstock

Löwenzahn, der auch Pusteblume oder Butterblume genannt wird, verwandelt ab Ende April die Wiesen in ein gelbes Blütenmeer. Obgleich die Pflanze Kindern viel Freude bereitet, ist sie vielen Gärtnern ein Graus: Löwenzahn vermehrt sich rasant und wer nicht frühzeitig zur Hacke greift, wird die Pflanze kaum mehr los.

Als Heilpflanze werden die Blüten in Honig eingelegt und der Extrakt bei Halsschmerzen und Husten eingesetzt. Ebenso kann die Wurzel des Löwenzahns getrocknet und als Tee verwendet werden. Die jungen Blätter machen sich als roher Salat gut – je jünger, desto zarter schmecken sie. Blüht die Pflanze jedoch, schmecken die Blätter sehr bitter.

Wichtig ist es, die Löwenzahnblätter sehr gut zu waschen und darauf zu achten, dass die Blätter nicht von Weiden oder Wegrändern gesammelt werden. Löwenzahnblätter können unter jeden Salat beigemengt werden, am besten werden sie nach dem Waschen kleingeschnitten. Ihre Bitterstoffe wirken verdauungsfördernd und harntreibend.

Gundermann (Glechoma hederacea)
Gundermannblüten und -blätter können als Salat verwendet werden. © RuudMorijn/iStock/Thinkstock

Gundermann, auch Echt-Gundelreb genannt, ist ein kriechendes Kraut, welches zur Familie der Lippenblütler zählt. Die Blüten und Blätter können als Salat (gemischt mit Spinat) und Würzkraut verwendet werden.

Vielerorts wurde Gundermann früher als Zutat für Maultaschen oder in Kräutersoßen zu Pellkartoffeln verwendet. Gundermann riecht und schmeckt etwas harzig-minzig. Schon Hildegard von Bingen empfahl das Kraut als Gemüse und Tee bei Kopf- und Ohrenschmerzen.

 

 

Spitzen von Tannen (Abies) und Fichten (Picea)
Honig aus Tannen- oder Fichtenspitzen wirkt schleim- und krampflösend. © anna_bogomazova / iStock / Thinkstock

Aus Rohrzucker, Wasser und Tannen- oder Fichtenspitzen, die ab April gesammelt werden, wird eine Art „Honig“ gekocht. Er schmeckt feinherb und ist ein veganer Ersatz für Bienen-Waldhonig. Bevor die Spitzen jedoch gesammelt werden, sollte unbedingt die Erlaubnis des Försters eingeholt werden, solange die Bäume nicht auf dem eigenen Grundstück stehen.

Für die Herstellung mit Tannenspitzen reichen ca. 500 g aus, dazu 500 g Zucker, 1 Liter Wasser, 1 Biozitrone. Je dunkler der Honig, desto mehr ist der Zucker karamellisiert und desto kräftiger ist er im Geschmack. Tannenspitzenhonig schmeckt zitronig-harzig, wirkt schleim- und krampflösend – er kann also auch bei einer beginnenden Erkältung eingesetzt werden.

Die Herstellung ist aufwendig und dauert bis zu drei Tage. Am ersten Tag werden unmittelbar nach dem Pflücken die Tannenspitzen in 1 Liter Wasser eingelegt und etwa 1 Stunde schwach siedend (nicht kochen!) erhitzt. Das Ganze über Nacht stehen lassen, es soll ein weißlicher Sud entstehen. Am zweiten Tag abseihen und die Flüssigkeit auffangen. Mit gleicher Menge Zucker wie Wasser aufkochen (also z. B. bei 600 ml Flüssigkeit mit 600 g Zucker). Gut die Hälfte einkochen, bis die Flüssigkeit dickflüssig ist und die Tropfen zäh vom Löffel fallen. Dann sofort kochend in sterile Gläser füllen.

Bärlauch (Allium ursinum)
Bärlauch sollte ausschliesslich roh verwendet werden, z. B. für Pesto. © Tuned_In/iStock/Thinkstock

Der Bärlauch ist mit dem Schnittlauch, Zwiebeln und Knoblauch verwandt und hat in den letzten Jahren eine wahre Renaissance erlebt.

Traditionell wird Bärlauchpesto mit Pinienkernen, Pecorino und Olivenöl zubereitet. Dabei lassen sich auch Walnüsse, Haselnüsse, Mandeln oder auch Erdnüsse verwenden und statt Pecorino gelingt Pesto auch mit anderen kräftigen Hartkäsen. Als Öl sollte immer hochwertiges Olivenöl verwendet werden.

Mit einem Mixer gelingt die Herstellung von Pesto sehr einfach. Zutaten: Zwei Bund frischen Bärlauch, 1 EL Nüsse, 50 g Hartkäse, 1 dl Öl, 1 TL Pfeffer, ½ TL Salz.

Bärlauch kann als Gewürzpflanze jedem Salat beigegeben werden, als Suppeneinlage verfeinert er eine Kräutersuppe und selbst die Blütenknospen können in Essig eingelegt als Kapernersatz verwendet werden. Durch das Kochen verliert Bärlauch seinen Geschmack, daher sollte er ausschliesslich roh verwendet werden.

Gefährliche Verwechslung
Sehen sich ziemlich ähnlich: die Blätter von Maiglöckchen und Bärlauch. © thodonal/iStock/Thinkstock

Unkundige können Bärlauch- und Maiglöckchenblätter verwechseln. Das stark giftige Maiglöckchen besiedelt in der Regel trockenere Standorte als der Bärlauch, die Blätter sind heller (gelblich-grün) und ihnen fehlt der charakteristische Zwiebelgeruch des Bärlauchs.


Christine Brombach

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