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Beeinträchtigen Zusatzstoffe wie Emulgatoren die Darmgesundheit? © AndreyPopov/iStock/Thinkstock

Kommentar zu Lebensmittelzusatzstoffen: Gefahr für Darmgesundheit unwahrscheinlich

Fördern Emulgatoren in Lebensmitteln die Entstehung von entzündlichen Darmerkrankungen und metabolischem Syndrom? Prof. Dr. Michael Blaut, Leiter der Abteilung Gastrointestinale Mikrobiologie (GAMI) am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke, kommentiert exklusiv für die ERNÄHRUNGS UMSCHAU eine derzeit viel diskutierte, in der Zeitschrift Nature erschienene, Publikation.

Prof. Dr. Michael Blaut vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke. © DIfE

Ein kürzlich in der Zeitschrift Nature erschienener Artikel [1] untersuchte an Mäusen den Einfluss von zwei Lebensmittelzusatzstoffen auf die Entstehung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und Symptomen des metabolischen Syndroms. Hauptformen der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sind Colitis ulcerosa, die auf den Dickdarm beschränkt ist, und Morbus Crohn, der alle Abschnitte des Verdauungstraktes erfassen kann.

Zu den Symptomen des metabolischen Syndroms gehören Adipositas, erhöhte Blutglukosewerte, Insulinresistenz, ein gestörter Fettstoffwechsel und eine subklinische Entzündung. Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und das metabolische Syndrom sind seit Mitte des 20. Jahrhunderts weltweit auf dem Vormarsch. Die Autoren der Studie argumentieren, dass parallel zur Zunahme dieser Erkrankungen auch die Aufnahme von Lebensmittelzusatzstoffen angestiegen ist, was auf einen möglichen Zusammenhang zwischen diesen beiden Größen hinweist. In der Studie von CHASSAING et al. wurde der Effekt von zwei Lebensmittelzusatzstoffen untersucht, die in ihrer chemischen Struktur keinerlei Ähnlichkeit aufweisen.

Die Zusatzstoffe Polysorbat-80 (P80) und Carboxymethylcellulose (CMC)

Polysorbat-80 ist ein nicht ionisches Detergenz, dessen hydrophiler Teil aus etwa 20 Polyoxyethylengruppen besteht, die über Etherbindungen mit Sorbit verknüpft sind, und dessen hydrophober Teil aus einer langkettigen Fettsäure (Ölsäure) besteht, welche mit einer endständigen Ethylenoxidgruppe verestert ist. In der Europäischen Union ist P80 als Zusatzstoff E 433 registriert. P80 wird bei Lebensmitteln wie Speiseeis, Desserts, Kuchen und Soßen als Emulgator in einer Konzentration von bis zu 5 mg/kg eingesetzt sowie in Backfetten von bis zu 10 mg/kg. Die insgesamt erlaubte tägliche Aufnahme für die gesamte Substanzgruppe beträgt 10 mg/kg Körpergewicht.

Zutatenliste beachten: Zusatzstoffe werden z. B. als Emulgatoren für Lebens-mitteln wie Speiseeis verwendet. ©RyanMcVay /Photodisc/Thinkstock

Carboxymethylcellulose (CMC) st ein Zellulosederivat, bei dem einige Hydroxylgruppen der Glukose-Monomere mit Carboxymethylgruppen (-CH2-COOH) verknüpft sind. Als Zusatzstoff E 466 wird es bei bestimmten Lebensmitteln, insbesondere bei glutenfreien und fettreduzierten Produkten, als Stabilisator und Verdickungsmittel eingesetzt.

Die Autoren der Studie führten Wildtyp-Mäusen und Mäusen mit einer genetisch bedingten Anfälligkeit für Darmentzündungen jeweils ein Prozent CMC oder P80 im Trinkwasser oder im Futter zu. Sie beobachteten, dass die beiden Zusatzstoffe zu einem verstärkten Vordringen von Darmbakterien in die Schleimschicht führten, die das Darmepithel bedeckt. Bei Kontrolltieren, die stattdessen Wasser erhielten, war dieses Phänomen nicht zu beobachten. Weiterhin riefen CMC und P80 eine erhöhte Darmdurchlässigkeit und Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmmikrobiota hervor. Parallel dazu wurden erhöhte Spiegel von bakteriellem Lipopolysaccharid und Flagellin in den Fäzes gefunden.

Lipopolysaccharid und Flagellin sind Bestandteile bakterieller Zellen, die Liganden der Toll-like Rezeptoren (TLR) 4 bzw. 5 sind, deren Aktivierung zu einer Entzündungsantwort führt. In Übereinstimmung damit wiesen die mit CMC oder P80 behandelten Tiere Symptome einer Colitis auf. Diese waren in genetisch prädisponierten Mäusen stärker ausgeprägt als in Wildtyp-Mäusen. Darüber hinaus förderten CMC und P80 die Futteraufnahme und damit einhergehend die Entstehung von Symptomen des metabolischen Syndroms wie Übergewicht, erhöhtes Körperfett und erhöhte Blutglukosespiegel.

Wurde die Mikrobiota der mit CMC oder P80 behandelten Tiere auf keimfreie Mäuse übertragen, so wiesen die Rezipienten nach 12 Wochen ähnliche Symptome auf, auch wenn diese kein CMC oder P80 erhielten. Aus diesen Experimenten und aus der Tatsache, dass CMC oder P80 bei keimfreien Mäusen keines der genannten Symptome hervorrief, schlossen die Autoren, dass die beobachteten Effekte von CMC und P80 durch die Mikrobiota vermittelt wurden.

Mögliche Schlussfolgerungen für die humane Ernährung

Die Feststellung der Autoren, nämlich dass Lebensmittelzusatzstoffe lediglich auf ihre akute Toxizität hin untersucht werden, ist sicherlich zutreffend. Ob die in dieser Studie gemachten Beobachtungen für den Menschen von Relevanz sind, ist dennoch fraglich. Die in den Experimenten eingesetzte Konzentration von 10 mg/ml bedeutet, dass eine 25 g schwere Maus, die pro Tag etwa 5 ml trinkt, eine Tagesdosis von 50 mg bzw. von 2 g/kg Körpergewicht aufnimmt. Dieser Wert liegt 200-fach über dem für den Menschen zugelassenen Wert von täglich 10 mg/kg Körpergewicht (s.o.). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Zusatzstoffe in den Mausexperimenten kontinuierlich über Zeiträume von mehreren Wochen zugeführt wurden.

Hingegen ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Mensch ausschließlich Lebensmittel mit Zusatzstoffen verzehrt. Diese Überlegungen sprechen dagegen, dass die untersuchten Lebensmittelzusatzstoffe beim Menschen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen oder des metabolischen Syndroms spielen.

Weitere Studien erforderlich

Darüber hinaus lässt die Arbeit einige Fragen unbeantwortet. So bleibt es offen, wie zwei chemisch unterschiedliche Substanzen ähnliche Effekte hervorrufen können, insbesondere wie beide Substanzen zu einer erhöhten Futteraufnahme führten. Letztere kann als Hauptursache für die Erhöhung von Körpergewicht, Körperfett und Blutglukosespiegel in den behandelten Mäusen vermutet werden. Des Weiteren stellt sich die Frage, über welche Mechanismen CMC bzw. P80 zur Veränderung der Mikrobiota führten. Trotz dieser Einwände sollte durch entsprechende Studien am Menschen ausgeschlossen werden, dass die genannten Zusatzstoffe die Darmgesundheit beeinträchtigen.

Prof. Dr. Michael Blaut

Gastrointestinale Mikrobiologie
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke



Publikation:
[1] Chassaing B, Koren O, Goodrich JK et al. (2015) Dietary emulsifiers impact the mouse gut microbiota promoting colitis and metabolic syndrome. Nature 519: 92–96
doi:10.1038/nature14232

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