Szenen aus dem Film: Reisernte bei Kleinbauern in Indien und Pflanzenzucht im Labor eines großen Saatgutherstellers. © 2015 PROKINO Filmverleih GmbH

Interview: „Wir erzählen das Problem von den Lösungen her“

Nach dem Erfolg von „Taste the Waste“ (2011) hinterfragt Regisseur und Bestseller-Autor Valentin Thurn in seinem neuen Film „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“ woher die Nahrung für eine steigende Weltbevölkerung kommen kann. Die ERNÄHRUNGS UMSCHAU Online-Redaktion sprach mit dem Regisseur über Fleischkonsum, den Auftrag seines Films und die Wertschätzung von Lebensmitteln.

Der Regisseur Valentin Thurn tourt derzeit für seinen neuen Film durch Deutschland. © Monika Nonnenmacher

Wie werden künftig zehn Milliarden Menschen satt? Auf nachhaltigen oder industriellen Wegen? Durch Lebensmittel aus dem Labor oder von der Biofarm? Valentin Thurn suchte weltweit nach Lösungen, wie wir verhindern können, dass etwa die Ressource Boden weiter ausgebeutet wird. Er traf die Macher der industriellen und der bäuerlichen Landwirtschaft, Biobauern und Nahrungsmittelspekulanten, besuchte Laborgärten und Fleischfabriken. Am Ende zieht Thurn ein deutliches Fazit, was sich ändern muss und was jeder Einzelne dafür tun kann.

Herr Thurn, wie oft essen Sie noch Fleisch?

Valentin Thurn: Tatsächlich habe ich früher fast täglich Fleisch gegessen. Heute hat sich diese Menge deutlich reduziert. Das heißt ein bis zwei Mal pro Woche und ich kaufe Fleisch nur noch von meinem Metzger, bei dem ich weiß, woher er es bezieht. Das ist natürlich teurer, und ich leiste es mir in manchen Wochen auch gar nicht. Außer Haus bevorzuge ich etwas Vegetarisches.


Was denken Sie über die heutigen Lebensmittelangebote im Supermarkt?

Thurn: Ehrlich gesagt kenne ich mich im Supermarkt nicht mehr gut aus. Vor zwei Jahren habe ich in Frankreich ein System entdeckt, dass man in Deutschland mittlerweile unter dem Namen Food Assembly kennt. Dort bestelle ich Ware auf einer Onlineplattform direkt bei regionalen Erzeugern und hole sie dann am Treffpunkt der Food Assembly ab. Das Ganze funktioniert wie ein Bauernmarkt, nur dass ich schon vorher weiß, was ich bekomme.

Im Supermarkt findet man leider viele Mogelpackungen. Da stehen dann Lebensmittel bei den angeblich regionalen Produkten mit der Herkunftsangabe „Deutschland“. Was ist daran regional? Einige Grundnahrungsmittel hole ich trotzdem noch im Supermarkt, das wird sich nicht ändern.


Warum erfahren Lebensmittel heute teils eine sehr geringe Wertschätzung?

Thurn: Das ist die banale Folge unseres anonymen Verteilsystems mit optimierten Lieferketten und billigen Preisen. Der Bezug zu den Lebensmitteln fehlt, wir wissen nicht mehr genau, was gut ist und was nicht und vertrauen stattdessen auf das Mindesthaltbarkeitsdatum oder ein kosmetisch perfektes Aussehen. Das hat mit gutem Geschmack oft nichts mehr zu tun.

Wenn ich mich dagegen selbst zum Produzenten mache, etwas anbaue oder den Bauer kenne, dann schafft das nicht nur Vertrauen, sondern auch Wissen. Und jeder, der einmal einen Sommer lang in einem Gemeinschaftsgarten einen Salatkopf gezogen hat, der konsumiert anders. Auch Schüler sollten regelmäßig mal auf einen Acker gehen und sehen, wie etwas wächst.


Ihr aktueller Film heißt „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“. Sind wir „zu viele“?

Thurn: Wenn wir diese Frage stellen, dann müssen wir auch fragen, wer denn zu viel ist und wer nicht? Das ist eine gefährliche Frage. Natürlich erträgt die Erde kein endloses Wachstum mehr, aber zum Glück soll das Wachstum bei der Marke zehn Milliarden stagnieren oder sogar wieder abnehmen. Trotz allem ist diese Menge enorm und Entwicklungsländer wie etwa Malawi leiden unter dem weiteren Bevölkerungswachstum.


In Ihrem Film legen sie also den Fokus also vor allem auf die Ernährung der vielen Menschen?

Thurn: Die Kernaussage meines Film ist die, dass es nicht so sehr auf die schiere Zahl der Menschen ankommt, sondern darauf, was sie essen und was sie generell konsumieren. Wenn alle so leben würden wie wir, bräuchten wir drei Planeten. Dazu gehört auch, dass Fleischkonsum in einem so hohen Maße nicht mehr möglich ist. Gerade die Schwellenländer fangen ja erst damit an, sich westlicher zu ernähren.


Wer bestimmt denn, was weltweit gegessen werden soll?

Thurn: Wir können das weitgehend selbst bestimmen. Wir haben das Geld dazu. Wir sind es aber auch, die mit unserem hohen Fleischkonsum dazu beitragen, dass Menschen in anderen Ländern eine geringe Wahlfreiheit haben. Ein Drittel der Weltgetreideernte wird an Tiere verfüttert und es wird noch mehr. Der Teil, der für Menschen bleibt, wird kleiner und teurer. Wir müssen unseren Konsum einschränken.


Was sagen Sie zu dem Gegenargument, dass die Schwellenländer dann das Fleisch künftig mehr konsumieren, auf das wir verzichten?

Thurn: Auch wenn zum Beispiel die Inder heute und zukünftig mehr Fleisch essen, konsumieren sie im Verhältnis immer noch weniger als wir. Ihre Ernährung ist im Schwerpunkt vegetarisch. Und ich halte es durchaus für möglich, dass das Thema Nachhaltigkeit dort mit einigen Jahren Vorlauf auch mehr Gehör findet. Aber wir sind es, die dafür heute schon Vorbild sein sollten. Und wir können dafür werben, dass Preise ehrlich werden. Das Stück Fleisch kostet ja nicht nur den Beitrag an der Supermarktkasse, sondern dazu kommen eigentlich die ganzen Kosten für Umweltschäden und die nicht nachhaltige Produktion der Massentierhaltung.

Plakat zum Film „10 Milliarden" © 2015 PROKINO Filmverleih GmbH


Was unterscheidet Ihren Film von früheren Produktionen wie „We Feed the World“ mit ähnlichem Schwerpunkt?

Thurn: Es ist richtig, in vielen Filmen sind diese Themen bereits aufgegriffen worden. Wir wollten mit „10 Milliarden“ im Unterschied dazu nicht provozieren und Wut oder Ärger erzeugen, sondern vor allem Mut machen. Es ist möglich, die zehn Milliarden Menschen zu ernähren und jeder kann mitmachen. Uns ging es wirklich darum, den Zuschauer nicht hilflos im Kinosessel zurückzulassen.


Wie haben Sie das umgesetzt?

Thurn: Um den komplexen Sachverhalt anzugehen, erzählen wir das Problem von den Lösungen her. Es gibt nicht die eine große Lösung für das Ernährungsproblem, sondern viele kleine, teils auch widersprüchliche Lösungen. In entwickelten Ländern sehen Lösungen anders aus, als in Entwicklungsländern. Zum einen soll der Film aktivieren, etwas zu tun, zum anderen soll er all jenen Wertschätzung liefern, die bereits etwas tun.


Zum Beispiel?

Thurn: Zum Beispiel die, die etwas in einem Gemeinschaftsgarten anbauen oder Lebensmitteln bei regionalen Bauern beziehen. Diese Menschen sollen spüren, dass das nicht nur eine niedliche Aktion vor Ort ist, sondern dass dieses Engagement eine weltpolitische Bedeutung hat.


Mit welchen Konzepten können wir denn globale Probleme lokal lösen?

Thurn: In Industrieländern wäre es schon mal wichtig, dass die Reste bäuerlicher Landwirtschaft erhalten werden, die es noch gibt. Wenn wir nur noch nach dem Preis Milch einkaufen, dann wird auch nur noch an ganz wenigen Orten Milch produziert, Andere unwirtschaftlichere Standorte rentieren sich nicht mehr. Diese sind aber für unsere Kulturlandschaft wichtig.

Ganz anders in Entwicklungsländern: Dort beliefern die lokalen Bauern teilweise noch ganze Megastädte. Diese Landwirtschaft müssen wir helfen zu erhalten. Hohe und schwankende Preise auf den weltweiten Agrarmärkten treiben die Kleinbauern in den Ruin, weil sie von dem, was sie erzeugt und verkauft haben, nicht mehr das ganze Jahr leben können.


Was schlagen Sie vor?

Thurn: Für die Kleinbauern ist es am wichtigsten, dass sie sich bei der Grundversorgung vom Weltmarkt abkoppeln und wir sollten sie lassen. Mit unserer Handelspolitik zwingen wir afrikanische Länder, ihre Grenzen aufzumachen für unsere hochsubventionierten Agrarprodukte. Wir sollten ihnen stattdessen erlauben ihre Grenzen dichtzumachen und Zölle zu erheben, um ihre Landwirtschaft zu schützen. Das heißt nicht, dass ich generell gegen den Welthandel bin, aber bei der Grundversorgung muss es möglich sein, Freihandelsverträge auszuklammern. Essen ist keine Ware wie jede andere.


Welches der lokalen Projekte, die Sie weltweit besucht haben, hat Sie am meisten fasziniert?

Thurn: Die solidarische Landwirtschaft mit mittlerweile hunderten Initiativen rund um die Welt ist ein sehr erfolgreiches Modell. Sogar in Afrika gibt es bereits einzelne Projekte. Das fasziniert mich. Meine persönliche Heldin ist allerdings die Kleinbäuerin Fanny aus Malawi. Sie hat über ein Projekt der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) vor einigen Jahren gelernt, ihren Anbau zu diversifizieren.

Das heißt, sie hat gelernt unterschiedliche Pflanzen anzubauen, was sie vor einem Totalausfall schützt, falls es zum Beispiel zu einer Dürre kommt. Und das Projekt lebt bis heute, nicht nur während die Entwicklungshilfe vor Ort war. Die Fehlernährung ist dort fast besiegt. Fanny verkauft einige Produkte und spart das eingenommene Geld für ein Fahrrad.


Welche Rolle sollte die Politik bei dem Thema künftig spielen?

Thurn: Ich würde mir wünschen, dass auf kommunaler Ebene mehr passiert. Ich kenne keine Kommune in Deutschland, die ein kohärentes Gesamtkonzept in puncto Ernährung hat. Das Thema wird gerne an Berlin oder Brüssel adressiert. Konzepte wie die essbare Stadt entdecken die Kommunen gerade erst und fühlen sich zuständiger. Hier möchten wir mit dem Verein „Taste of Heimat“ versuchen, Erzeuger und Verbraucher zusammenzubringen. Die Onlineplattform macht regionale Lebensmittel leichter zugänglich, die Zusammenarbeit mit den Kommunen ist dabei besonders wichtig.

Ein anderer Ansatz ist, Ernährungsräte in die Kommunen zu bringen nach dem Modell der amerikanischen „Food policy councils“. Das wäre ein beratendes Gremium, in welchem Organisationen der Zivilgesellschaft und die Verwaltung zusammen nach städtischen Lösungen suchen können, um zum Beispiel Grünflächen für die Ernährungsproduktion zu nutzen. Dafür setze ich mich persönlich ein.


Das Gespräch für die ERNÄHRUNGS UMSCHAU führte Myrna Apel.

Über Valentin Thurn

Der Regisseur und Autor Valentin Thurn drehte über 40 Dokumentationen für Fernsehen und Kino. Sein bekanntester Kinofilm „Taste the Waste“ war 2011 mit 130 000 Zuschauern einer der erfolgreichsten deutschen Dokumentarfilme. Er wurde auf der Berlinale uraufgeführt und auf 30 Filmfestivals weltweit gezeigt, gewann den Umwelt-Medienpreis der Deutschen Umwelthilfe sowie 15 weitere Preise.

2011 schrieb Thurn das Buch „Die Essensvernichter“, mit einer Auflage von 35 000 Exemplaren ein Spiegel-Beststeller. 2012 folgte das „Taste the Waste“-Kochbuch, und 2013 drehte er „Die Essensretter“, wofür er u. a. den Econsense Journalistenpreis erhielt.

Valentin Thurn ist Diplom-Geograph und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München ausgebildet. 1993 gründete er die „International Federation of Environmental Journalists“ (IFEJ), 2012 den „Foodsharing e.V.“ und 2014 die Plattform „Taste of Heimat“.



Links:

www.10milliarden-derfilm.de

Food Assembly

Verein Taste of Heimat

Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)

Das könnte Sie interessieren
Qualitätsverträge Mangelernährung weiter
© Irina_Strelnikova/iStock/Getty Images Plus
„Mehr Tempo bei der Regulierung wäre gut!“ weiter
Wegweiser dringend gesucht! weiter
PENNY-Kampagne „Wahre Kosten 2023“: erste Auswertung liegt vor weiter
Nachschlag: Zahlenspiele und (Denk)blockaden weiter
Verhaltensinterventionen im Wandel: Status Quo und zukünftige Möglichkeiten weiter