Zu guter Letzt: Sommernachlese

Unsere diesjährige Sommerreise begann wie so oft mit vielen anderen Erholungssuchenden in einem nicht endenden, gleichförmigen Strom von Automobilen unterschiedlicher Größe und Beladung. In den Alpen verließen die mit Mountainbikes, schnittigen Rennrädern oder mit Rucksäcken beladenen Karossen nach und nach die weiter nach Süden rollende Karawane. Spätestens bei unseren alpinen Wanderungen und Klettersteigtouren wurde uns die diskriminierende bzw. selektive Funktion des BMI für das Urlaubsverhalten europäischer Gesellschaften überdeutlich: Auf mühsam erklommenen Gipfeln dominierten eindeutig Menschen mit einem BMI unter 25. Der Berg ruft nur die halbwegs Schlankgebliebenen, die aber – zum großen Leidwesen unserer charmanten Hotelwirtin – kontinuierlich weniger werden und heute selbst in der Hauptsaison in den Berghotels die Betten nur noch teilweise füllen. Angebote von Mayr- oder Schrothkuren oder andere diätetische Maßnahmen dürften die Auslastung nur unwesentlich verbessern; neue Ideen sind gefragt, um beleibtere Urlauber zu einer früheren Abfahrt von der Brenner- oder Tauernautobahn in die Bergwelt zu locken.

Letztgenannte trafen wir dann eine Woche später auf der nächsten Etappe unserer Sommerreise an den Gestaden des Mittelmeeres. Auf XXL-Liegen streckten diese ihre bereits gut gebräunten Körper in die Sonne und stärkten sich, von so viel passiver Freizeitaktivität gelangweilt, an den all you can eat-Buffets der poolbestückten, strandnahen Hotels.

Hier und in vielen anderen Bereichen hat die Wirtschaft ihre Angebote bereits an die Bedürfnisse einer übergewichtigen Kundschaft angepasst und erfolgreich gelernt, zusätzliche Kilos in gewinnbringende Euros umzuwandeln: größere Autos wie SUVs und Pickups, die auch kräftig gebauten Menschen ein bequemes Ein- und Aussteigen ermöglichen, Kleidung in Übergrößen, gut gefüllte Arzneimittelportfolios der Pharmaindustrie zur Therapie der zahlreichen Adipositas-assoziierten Folgeerkrankungen… Bald werden sicherlich auch Bahn- und Fluggesellschaften auf die Idee kommen, Reisenden gegen Aufpreis breitere (und profitablere) Sitze anzubieten.

Je mehr wir uns einrichten auf die gewandelten Bedürfnisse der Wohlstandsgesellschaft, je mehr maßgebliche Wirtschaftszweige, inklusive des Lebensmittel- und Getränkesektors sowie der Medien, mehr von Kilos als von Nicht-Kilos profi tieren, desto geringer dürfte der politische und gesellschaftliche Wille werden, das Volk zum Gürtel-enger-schnallen zu bewegen. Wir aber freuen uns schon auf den Herbst, mit langen Wanderungen auf weiterhin einsamen Pfaden …

Ihr Helmut Heseker



Den vollständigen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 09/15 auf Seite M556.

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