Zu guter Letzt 01/2016: Sündenbock

In unserer Gesellschaft kommt es immer wieder vor, dass bestimmte Typen von Menschen bevorzugt angegriffen oder „gemobbt“ werden. Oft ist es eine äußere oder innere Behinderung, die sie angreifbar macht und statt hierbei zu helfen, lässt man seinen „Mut“ oder seine üble Laune an ihnen aus. Sie werden auch oft für gesellschaftliche Missstände oder Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht, sind also der Sündenbock für vieles. Besonders häufig tritt so etwas in der Schule auf oder in anderen eng beieinander lebenden Bevölkerungsgruppen (Sportvereine, Gefängnisse etc.).

Diese Zusammenhänge gibt es auch bei den Lebensmitteln. Ein allbekanntes Beispiel ist das Schwein. Im Altertum – insbesondere in den südlichen Ländern – war das Schwein unerwünscht, vermutlich, weil es als Verursacher der heute beherrschten Trichinose erkannt wurde, oder auch weil es nicht in den gesellschaftlichen Rahmen (damals Nomadentum) passte. Diese auch heute noch in großen Religionen gültige Aversion schlägt teilweise auf die gesamte Bevölkerung durch. So wird immer wieder vor Krankheiten durch Verzehr von Schweinefleisch, z. B. Gicht, gewarnt und sogar von „Sutoxinen“ ist im eher esoterischen Bereich die Rede. Und dies, obwohl die Beweise fehlen und Schweinefleisch z. B. keine höheren Puringehalte als andere Fleischarten aufweist.

Zu einem neuen Fall könnte der Weizen werden. Auch er ist mit einem „Geburtsfehler“ behaftet, nämlich mit dem Zöliakie auslösenden Gluten. Auch wenn diese und einige andere über die Zöliakie hinausgehenden Unverträglichkeiten auf Weizen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betreffen, wird Weizen immer wieder angeprangert. Das geht so weit, dass man inzwischen für Hundefutter wirbt, das an Stelle von Weizen (hoffentlich alkaloidfreies) Kartoffelprotein enthält.

Als nächste Kandidatin steht schon die Milch in der Schlange. Auch sie – durch die Laktoseintoleranz, die ja durchaus keine Null-Laktose-Toleranz ist, gehandicapt – wird in letzter Zeit mit Problemen konfrontiert, die allenfalls bei sehr hohem Konsum von Milch bzw. Milchprodukten auftreten könnten.

Diese Aufzählung ließe sich noch leicht erweitern. Das Schlimmste daran sind die Modewellen, in denen diese Phobien bedient werden, ähnlich zu den Moden im Verzehrverhalten (von der Atkins-Diät bis zu Vegan). Früher brauchte die Gesellschaft Brot und abwechslungsreiche Spiele. Heute muss auch das Brot abwechslungsreich bespielt werden. Nun ja, halten wir die Fakten dagegen und essen wir abwechslungsreich und ausgewogen und der persönlichen Verträglichkeit angepasst.

Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Helmut Erbersdobler



Den Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 01/16 auf Seite M64.

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