Das Beste kommt nicht zum Schluss – genießen wir das Heute

Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie sich schon geärgert, dass Sie „immer alles“ entscheiden müssen? Wie oft nerven die täglich aufs Neue anstehenden Entscheidungen: Was esse ich/was koche ich/was muss ich einkaufen?

244 ernährungsbasierte Entscheidungen treffen wir jeden Tag, ca. 25 000 Produkte bietet uns ein üblicher Supermarkt zur Auswahl1. Und das alles zusätzlich zu den unzähligen Ernährungsformen, von denen wir uns – passend zu jeder Lebenslage – immer die beste aussuchen sollen. Täglich müssen wir neu entscheiden, was wir uns und/oder unseren Familien oder Freunden zaubern. Es soll allen schmecken, gesund, nachhaltig, fair gehandelt und ausgewogen sein. Dazu am besten noch „frei von“, bunt und fleischarm. Genau dieser Entscheidungs-„Overload“ lässt viele von uns verzweifeln, resignieren oder schimpfen. Manches Mal sind wir froh, wenn wir die Entscheidungsmacht aufgeben können. Wenn wir mal nicht kochen müssen, entscheiden müssen, planen müssen.

Aber kommt nicht viel zu schnell die Zeit, in der das alles eben nicht mehr selbstverständlich ist? Eine Zeit, in der wir nicht mehr frei entscheiden können, was wir wann, wo, wie und mit wem essen, in der wir zwar (hoffentlich) noch in den eigenen vier Wänden leben, aber der Alltag nicht mehr nur anstrengend, sondern plötzlich allein gar nicht mehr zu meistern ist. Etiketten sind schwerer zu lesen, Verpackungen plötzlich nicht mehr alleine zu öffnen, der Rollator erschwert das selbstständige Kochen und der Speiseplan wiederholt sich – dank „Essen auf Rädern“ – alle paar Wochen. Dies alles erscheint vielleicht schwarzgemalt, aber das hohe Alter (das wir nicht zuletzt aufgrund gesunder Ernährung hoffentlich alle erreichen) bringt doch viele unumkehrbare Einschränkungen auch im Essalltag mit sich.

In unserem Special ab S. M270 (und auch in den Medien, S. M302) greifen wir dieses Thema auf. Dr. Heide PREUSSE gibt eine Übersicht zu den Barrieren der Ernährungsversorgung in Privathaushalten hochbetagter Senioren und stellt verschiedene Handlungsstrategien vor. Praxisnahe Einblicke in Seniorenhaushalte gibt zudem ab S. M279 Helga NOLL, Leiterin eines Haus- und Familienpflegedienstes. Sie verdeutlicht die vielen Herausforderungen, mit denen externe Hilfen bei der Ernährungsversorgung von Senioren konfrontiert sind.

Also: „Genießen“ wir die täglich anfallenden Entscheidungen, solange wir sie selbst bewusst treffen müssen bzw. können – bevor sie irgendwann für uns getroffen werden. Freuen wir uns darüber, dass wir körperlich und geistig fit genug sind, den Alltag zu meistern, auch wenn er manchmal belastend ist. Noch haben wir direkt Einfluss auf unser Leben. Schneller als wir hoffen kommt die Zeit, in der es eben nicht mehr normal ist, alle Entscheidungen selbst zu treffen, täglich neu zu überlegen, worauf man Lust hat und eben schnell einkaufen zu gehen und zu kochen.

In mancher Hinsicht kommt nämlich das Beste nicht immer zum Schluss. Manchmal kommt es auch früher. Nutzen Sie also das Hier und Heute - und bleiben Sie gesund!

Ihre Lisa Hahn

1 Renner B (2015) Ernährungsverhalten 2.0. Veränderungen durch explizite und implizite Interventionen. Ernährungs Umschau 62(1): M36-M46



Das Editorial finden Sie auch in Ernährungs Umschau 05/17 auf Seite M241. 

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