Flächenbedarf und regionale Versorgungskapazitäten städtischer Ernährungsmuster am Beispiel Berlins

  • 13.01.2017
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  • Susanna Esther Hönle
  • Toni Meier
  • Olaf Christen

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Peer-Review-Verfahren | Eingereicht: 14.06.2016 | Angenommen: 07.09.2016

Einleitung und aktueller Forschungsstand

Aktuelle städtische Ernährungs- und Konsumweisen können als Folge eines Strukturwandels in der landwirtschaftlichen Produktion im Laufe des 20. Jahrhunderts gesehen werden. In Folge der großen Produktivitätssteigerung des Bodens (biologisch- technischer Fortschritt) und der Arbeit (mechanisch-technischer Fortschritt) sanken die Produktpreise, während verbesserte Logistik und Transportmöglichkeiten sowie die Liberalisierung der Agrarmärkte zu einer immer stärkeren Globalisierung des Sektors führten [1, 2]. Insbesondere die Städte wurden so räumlich und zeitlich immer weiter von den Orten der Produktion ihrer Lebensmittel entkoppelt [3].

In einem derart „delokalisierten“ Ernährungssystem sind „für die Standorte von Erzeugern und Verarbeitern nicht mehr regionale Verflechtungen, sondern logistische Kriterien, ausgerichtet auf weltweiten Einkauf und nationalen Vertrieb, entscheidend“ [4]. Gleichfalls wurde die kulturelle und religiöse Bedeutung von Speisen und ihre saisonale Verfügbarkeit im Jahresrhythmus aufgehoben, was „der Ernährungsweise der industrialisierten Welt einen Charakter größerer Uniformität verlieh“ [5].

Zusammenfassung

Die zukünftige Welternährungssicherung wird häufig im Hinblick auf Bevölkerungswachstum und Klimawandel diskutiert. Dabei gelten die Länder des „Globalen Südens“ als besonders vulnerabel. Ernährungssicherheit ist jedoch auch für den „Globalen Norden“ aufgrund der zunehmenden Bevölkerungskonzentration in Städten von besonderer Aktualität. Dabei steht nicht Nahrungsknappheit, sondern die „Delokalisation“ von Produktion und Ernährung im Vordergrund, die die Stadt stark von externen Faktoren abhängig macht. Vor diesem Hintergrund wurden in einer Flächenbilanzierung nach ISO 14040/44 die Flächen bilanziert, die die Stadt Berlin unter heutigen Ernährungsgewohnheiten verbraucht, diese regionalen Flächenkapazitäten (hier: Brandenburg) gegenübergestellt und Handlungsoptionen zur Verringerung des Flächenbedarfs untersucht. Von den benötigten Flächen liegen 28 % im Ausland. Diese Importe werden von Berlin-Brandenburg derzeit nicht durch entsprechende Exporte (gemessen an virtueller Fläche) ausgeglichen. Zudem überschreitet die zu Ernährungszwecken beanspruchte Fläche pro Person deutlich das sozial-ökologisch verträgliche Niveau. Daraus ergeben sich Fragen nach der Resilienz (Widerstandsfähigkeit) des städtischen Ernährungssystems und nach den regionalen Versorgungsmöglichkeiten. Dabei zeigt sich, dass neben einer Änderung der Konsummuster, die auch mit einem hohen Anteil an vermeidbaren Lebensmittelverlusten einhergehen, auch ein Umdenken in der inländischen (regionalen) Produktion nötig wäre, um die Selbstversorgungskapazität Berlins zu erhöhen.

Schlüsselwörter: Urbanisierung, Ernährungssicherheit, Delokalisation, Flächenverbrauch, Flächenbilanz, Ökobilanz, regionale Versorgungskapazitäten, nachhaltige Ernährungssysteme



Introduction and state of research

Current urban dietary and consumption patterns can be seen as a consequence of a structural change in agricultural production during the 20th century. Product prices have fallen as a result of large increases in the productivity of soils (biological-technological progress) and working methods (mechanical-technological progress), while improved logistics and transportation as well as the liberalization of agricultural markets have led to ever increasing globalization of the sector [1, 2]. Cities in particular have thus become further and further decoupled, both geographically and temporally, from the sites where their food is produced [3].

In such a “delocalized” nutrition system, “the sites of producers and processors are no longer defined by regional interrelations, but by logistical criteria geared towards global purchasing and national distribution” [original German citation translated by the authors] [4]. Similarly, the cultural and religious significance of dishes and their seasonal availability throughout the year have been set aside, “lending dietary habits in the industrialized world a more uniform character” [original German citation translated by the authors] [5].

Abstract

The future of world food security is often discussed in terms of population growth and climate change. The countries of the “Global South” are considered particularly vulnerable. However, increasing population in cities mean that food security is also of considerable relevance for the “Global North”. The focus here is not on food shortages, but on the “delocalization” of the production and consumption of food, which is making cities highly dependent on external factors. Against this backdrop, a land footprint accounting was conducted in accordance with ISO 14040/44 in order to gain an overview of the land used by the city of Berlin to cater to current dietary habits; these were compared to regional supply capacities of the surrounding Federal State Brandenburg and potential actions for reducing the land requirements were examined. Of the required area to supply Berlin, 28% is located abroad resulting in a net import of virtual land. The imports are currently not offset by Berlin-Brandenburg through corresponding exports. In addition, the area of land required for nutritional purposes per person by far exceeds the acceptable social-ecological level. This gives rise to questions about the resilience of the urban nutrition system and about regional supply possibilities. It becomes clear that, in addition to a change in consumption patterns – which are also associated with a high proportion of avoidable food losses – a rethinking of domestic (regional) production would also be necessary in order to increase Berlin’s capacity for self-sufficiency.

Keywords: urbanization, nutrition security, delocalization, land requirements, land footprint account, life cycle assessment, regional supply capacities, sustainable nutrition systems



Den vollständigen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 1/17 von Seite M23 bis M31.

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