Evolutionäre Ernährungswissenschaft und „steinzeitliche“ Ernährungsempfehlungen – Stein der alimentären Weisheit oder Stein des Anstoßes?

Teil 2: Ethnographische Befunde und ernährungswissenschaftliche Implikationen

Alexander Ströhle, Andreas Hahn, Hannover

Es gibt es in vielen Disziplinen die Bestrebung, biotische Sachverhalte auf dem Boden der Evolutionstheorie zu interpretieren. Entsprechend wird im Rahmen einer evolutionären Ernährungswissenschaft methodisch der Versuch unternommen, dem Ziel der Ernährungswissenschaft, nämlich der Definition einer in präventivmedizinischer Hinsicht „optimalen“ Ernährung, näher zu kommen. Das in diesem Zusammenhang diskutierte Konzept der Steinzeiternährung („Paleo Diet“) ruht begründungstheoretisch auf einem (Gen)Adaptationismus. Danach ist der menschliche Organismus an ein bestimmtes Nahrungsumfeld, nämlich das des Paläolithikums, „genetisch angepasst“. Der Beitrag will klären, wie die Ernährung rezenter Jäger und Sammler, die als Modell für die Steinzeiternährung dient, beschaffen ist und was sich daraus ernährungsphysiologisch ableiten lässt.

Die Rekonstruktion der Ernährung während des Paläolithikums ist nur ansatzweise möglich. Als Modell für die Steinzeiternährung dient daher das Ernährungsverhalten rezenter Jäger und Sammler. In Abhängigkeit von den jahreszeitlichen und lokalen Gegebenheiten variieren die Anteile pflanzlicher (0–90 %) und vom Tier stammender Nahrung (10–100 %) bei den verschiedenen Jäger- und Sammlervölkern erheblich. Vom Tier stammende Lebensmittel sind aber bei allen Völkern von Bedeutung. Basierend auf einem angenommenen Verhältnis von 65 % pflanzlicher und 35 % tierischer Nahrung, galt bis 1999 ein Makronährstoffverhältnis von etwa 35 Energie% Protein, 45 Energie% Kohlenhydrate und 20 Energie% Fett als Referenzwert für die „Paleo-Diet“.

Unter Berücksichtung neuer Erkenntnisse wird zurzeit die Nährstoffrelation bei den meisten Jäger- und Sammlervölker auf 19–35 Energie% Protein, 22–40 Energie% Kohlenhydrate und 28–58 Energie% Fett geschätzt. Da die „Paleo Diet“ definitionsgemäß ausschließlich aus vitamin- und mineralstoffreichen Lebensmitteln (Obst; Gemüse, Nüsse, mageres Fleisch und Fisch) besteht, verwundert es nicht, wenn diese tatsächlich vitamin- und mineralstoffreich ist. Inzwischen werden die unterschiedlichsten Ernährungsregimes als „Steinzeiternährung“ deklariert.

Je nach theoretischer Ausrichtung lassen sich die auf einem ontologischen Adaptationismus basierenden Varianten von denen auf einem methodologischen Adaptationismus beruhenden Versionen abgrenzen. Erstere sind zwar wissenschaftlich interessant, beruhen aber auf einer Reihe fragwürdiger evolutionstheoretischer Annahmen. Letztere dagegen sind theoretisch nicht zu kritisieren, kommen aber über ernährungswissenschaftlich allgemein Bekanntes nicht hinaus.

Den vollständigen Artikel finden Sie in Ernährungs-Umschau 02/06 ab Seite 52.

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