Zu guter Letzt 1/2018: Die Suppe ess' ich nicht!

Wer kennt sie nicht, die traurige Geschichte vom Suppenkasper aus Heinrich HOFFMANNS Struwwelpeter, vom Kasper, der sich weigert, seine Suppe zu essen und dann innerhalb von fünf Tagen verhungert.

Das hier gezeigte Erziehungsproblem, das in unserer Gesellschaft mit dem durch die Agrarrevolution gelungenen Ende der Hungersnöte seit Ende des 19. Jahrhunderts schnell an Verbreitung und Bedeutung zunahm, führt im Zeitalter alimentären Überflusses tagtäglich – wenn auch meist im Verborgenen – zu unzähligen familiären Dramen.

Egal ob es sich bei Kaspers Essverweigerung um den ersten dokumentierten Fall einer Anorexia nervosa oder nur um eine besonders hartnäckig ausgetragene Familienauseinandersetzung handelt: HOFFMANNS warnend-pädagogischer Ansatz steckt uns bis heute (leider) tief in den Knochen. Denn bei der freiwilligen Nahrungsverweigerung handelt es sich meistens um eine ganz normale frühkindliche Entwicklungsstufe, oft beobachtet am Übergang von der Brust- zur Breiernährung oder von der Breifütterung zum selbstständigen Essen. Das Kind probiert im Normalfall zunächst nur aus, wie Autonomie und Selbstbestimmung gehen können, oder das Essen schmeckt ihm einfach nicht oder ist ungewohnt.

Vor dem Hintergrund des vermeintlich nahen Hungertodes ihrer nörgeligen Schutzbefohlenen reagieren Eltern – in Ernährungserziehungsangelegenheiten vielfach ungeschult – bei einem tränenreich verschlossenen Mündchen aber mitunter reflexartig, wenn nicht gar panikartig mit vermehrter Zuwendung. Mit teilweise ausgefallenen und nicht selten skurrilen Ritualen wird versucht, den trotzenden Nachwuchs zum Essen zu bewegen: Mütter, die in der Café-Spielecke mit gefülltem Löffel und verzweifeltem Bitten hinter ihrem Kind herstolpern oder Kinder, die ein Spielzeug versprochen bekommen, damit sie endlich essen.

Dabei ist die Bandbreite der Essverweigerung unglaublich breit und reicht von den ganz normalen Phänomenen einer Lebensmittelneophobie und dem selektiven Essverhalten „mäkeliger“ Kinder („ich mag die Suppe und den Spinat nicht“) über extrem einseitige Ernährung („ich esse nur Nudeln“) bis hin zu kurzfristig völliger Nahrungsverweigerung. Bei den letzten beiden lohnt es sich für die Eltern, einmal genauer hinzuschauen, welche Motivation das Kind für die elterliche „Erpressung“ bzw. sein auffälliges Verhalten haben könnte.

Damit aber selbst in hartnäckigen Fällen das Familienessen nicht zum Albtraum wird, kann es helfen, sich an die alte Hebammenweisheit zu erinnern: „Kein Kind verhungert im Schlaraffenland freiwillig.“ Für etwas mehr elterliche Gelassenheit können auch neue Ergebnisse von Untersuchungen an Kindern mit langjährigen Essmarotten („schlechte Esser“) beitragen. Hier zeigte sich, dass auch Gemüsemuffel später normal gedeihen und aus ehemaligen Suppenkaspern genauso starke Jungs und Mädchen werden wie aus Kindern mit weniger problematischen frühen Essbiografien. Auch eine Erkundung der eigenen frühen Essbiografie kann helfen: Oft liegt ein kompliziertes Essverhalten ja in der Familie.

Ihr Helmut Heseker



Diesen Artikel finden Sie wie die Vorschau auch in Ernährungs Umschau 1/2018 auf Seite M56.

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