Editorial 09/01: As time goes by

Berthold Gaßmann

Berthold Gaßmann... wird man es als wohl als unausweichlich hinnehmen müssen: das Basic Simple English. Integrationsidiom nennt es Dieter Simon, und die Berlin-Brandenburgische Akademie hat ihm kürzlich den Großteil eines, die Wissenschaftskommunikation betreffenden Heftes ihrer Zeitschrift "Gegenworte" gewidmet. Der gewissermaßen von Amts wegen erteilte Segen eines deutschen "Kultur"-Staatsministers zum Ableben des Deutschen als Wissenschaftssprache mag dazu beigetragen haben.

In einem Editorial auf Basic Simple English als der heutigen Lingua franca abzuheben, bedeutet nicht, dem aufgekommenen Mythos des Sprachverfalls das Wort zu reden. Ebenso wenig will ich mich als Herausgeber in eine falsch verstandene Konkurrenz verrannt wissen. Mir geht es vielmehr um das Anliegen der Ernährungs-Umschau, einer beruflich breit gefächerten großen Leserschaft weiterhin Wissen in deren Muttersprache zu vermitteln und zum Austausch anzubieten.

Entscheidend dabei ist allerdings ein anschauliches, griffiges und verständliches Deutsch. Ohne den Hautgout des Populärwissenschaftlichen angelastet zu bekommen, heißt das, die Leser nicht zu belehren und mit Informationen zuzuschütten, sondern sie ernst zu nehmen und, Kommunikation stiftend, fundiert zu unterrichten. Nach meinem Eindruck kommt ein Dialog zwischen Autoren und Lesern bislang schlichtweg dadurch kaum zu Stande, weil er nicht auf Augenhöhe ermöglicht wird.

Hier sehe ich, und das keineswegs allein in dieser Hinsicht, eine Bringschuld der Ernährungswissenschaft. Selbst wenn das Deutsche als Wissenschaftssprache nur noch eine Nischenfunktion hat und wir unsere Forschungsergebnisse aus achtbar verständlichen Gründen in englischer Sprache publizieren oder in dem, was wir mit Catch Terms, Catch Methods und 1000 Wörtern dafür halten, aus der Mitverantwortung für die deutsche Sprachkultur sind wir deshalb doch nicht entlassen!

Die Ernährungswissenschaft bedient sich mehrerer Fachsprachen mit verschiedenen Ausdrucksweisen und begrifflichen Inhalten. Zum Mitteilen, Verstehen und Anerkennen neuer Einsichten in biochemische oder molekularbiologische Abläufe und Zusammenhänge des Zellstoffwechsels werden sie seit einiger Zeit reichlich von nachrichtentechnischen Fachwörtern geprägt (P. Janisch).

Es wäre deshalb naiv zu fordern, dass die Fachsprachen kennzeichnenden Fakten aus so ganz unterschiedlichen Teildisziplinen transparent und für jedermann verständlich zu sein hätten. Die Einheit der Sprache mag unverzichtbar sein, zu erreichen ist sie nicht. Umgekehrt müssen sich daraus nicht zwangsläufig Sprachverwirrung und das Aufgeben jeglichen Bemühens ergeben, Fachtexte zu verstehen und aus ihnen Schlüsse für sich und die Praxis zu ziehen.

Indes, fordern neue Aspekte und Ansätze der Forschung und Entwicklung wirklich immer neue Ausdrücke? Warum, so frage ich mich, betrachten Naturwissenschaftler die Metaphorik fortgesetzt als umgangssprachliche Nachlässigkeit? Aus welchem Grund opfern sie die wissenschaftssprachliche Ästhetik neuerlich schon dem einfachen Übertragen des Basic Simple English und seiner formalisierten Textstruktur ins Deutsche?

Wo noch ist die Kunst der behutsamen Verallgemeinerung konkreter Untersuchungsergebnisse gemäß dem lateinischen Sinn des Verbs abstrahere zu finden? Was dagegen auffällt, sind die Flucht ins Konjunktivische oder in die Mathematik, speziell in die mathematische Statistik, und das sich rückversichernde Berufen auf aktuelle Zitate renommierter Fachkollegen/innen in Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor und ordentlichem Peer-Reviewing. Verbietet uns das jedoch eo ipso, im wissenschaftlichen Diskurs die Schlüsse anerkannter und als kompetent geltender Arbeitsgruppen in Frage zu stellen?

Die Eleganz und die Virtuosität der Sprache von Native Speakers des Englischen können wir hier zu Lande jedenfalls nicht erreichen. Dagegen sprechen schon dessen ungleich größerer Wortschatz und das anders strukturierte grammatische Regelwerk. Umso mehr sollten wir uns um ein gut formuliertes, zum Dialog einladendes durchsichtiges Deutsch bemühen, ein Deutsch, das dem bereits von G. W. Leibnitz erhobenem Anspruch auf "distincte et clare" gerecht wird.

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