Editorial 06/01: Gesellschaft der Alten?

Sabine Fankhänel, Frankfurt

            Sabine FankhänelWann ist man alt? Wenn man altersbedingt aus dem Arbeitsleben ausscheidet, also mit 65 Jahren? Nicht einmal diese Grenze trifft auf die meisten Arbeitnehmer zu. Derzeit beziehen Beschäftigte in Deutschland durchschnittlich schon ab dem 59. Lebensjahr Altersrente. Nur noch ein Fünftel der 60- bis 65-Jährigen ist erwerbstätig. Aber wer lässt sich schon gern mit 57 Jahren als „Senior“ bezeichnen, weil er in den „Vor-„ Ruhestand gegangen ist oder für seine Altersteilzeit das Blockmodell gewählt hat?

Oder ist man wirklich erst alt, wenn man sich so fühlt? Eine repräsentative Befragung ergab: Als alt gilt man in Deutschland mit 75,8 Jahren. Mit steigender Lebenserwartung tritt das Gefühl, alt zu sein, immer später auf – und es steigt die Hoffnung, den Prozess des Alterns noch weiter hinauszuzögern . So entwickelt sich der Zeitraum zwischen dem 60. und 75. Lebensjahr immer stärker zu einem eigenständigen Lebensabschnitt. Unsere Gesellschaft umfasst inzwischen nicht mehr nur drei Generationen (Kinder und Jugendliche, Erwerbstätige, Alte), sondern vier – die jungen Alten sind dazu gekommen.

Beschleunigt wird die Entwicklung hin zu einer Gesellschaft der Alten durch die konstant niedrige Geburtenrate. Schon seit ca. 30 Jahren liegt sie in (West-)Deutschland bei knapp 1,4 Kindern je Frau. Dadurch wird die Bevölkerung von heute 82 Millionen Einwohnern trotz steigender Lebenserwartung auf 65 bis 70 Millionen im Jahr 2050 sinken. Dabei unterstellen die Berechnungen des Statistischen Bundesamtes sogar noch einen langfristigen Zuwanderungsgewinn von 100000 bzw. 200000 Personen pro Jahr. Ohne Zuwanderung wären es sogar nur 59 Millionen!

Innerhalb eines Jahrhunderts, von 1950 bis 2050, wird sich so bei nahezu gleicher Bevölkerungszahl von ca. 70 Millionen der Altersaufbau unserer Gesellschaft umgekehrt haben: Waren 1950 etwa doppelt so viele Menschen unter 20 wie über 59 Jahre, wird es 2050 mehr als doppelt so viel ältere wie junge Menschen geben. War 1950 in Deutschland jeder Siebte älter als 60 Jahre, ist es heute jeder Vierte, und im Jahr 2050 wird es schon jeder Dritte sein. Kommen zurzeit 40 Personen im Rentenalter (60 Jahre und älter) auf 100 im Erwerbsalter (20 bis 59 Jahre), werden es dann 80 bzw. 75 sein (je nach unterstelltem Zuwanderungsgewinn).

Schon diese statistisch-demographische Betrachtung zeigt, mit welchen Problemen sich unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren auseinandersetzen muss. Der Generationenvertrag aus den 50er Jahren bildet in seiner ursprünglichen Form keine tragfähige Basis mehr, ein Umdenken ist erforderlich. Die bestehenden sozialen Sicherungssysteme, wie Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, müssen tiefgreifend reformiert werden. Erste Schritte hierzu wurden getan. So werden mit dem kürzlich verabschiedeten Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz) neuartige Finanzierungselemente in das deutsche Rentenversicherungssystem eingeführt. Sicher werden dieser Reform noch weitere folgen. Nicht zuletzt steht der Arbeitsmarkt vor einer schwerwiegenden Umorientierung. Denn wenn es nur noch wenige junge Arbeitnehmer gibt, müssen die derzeit in den Unternehmen oft „ungeliebten“ Älteren die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftssystems sicherstellen.

Dies alles macht deutlich: Wir 30- bis 50-Jährigen werden uns wohl wieder auf eine längere Lebensarbeitszeit einstellen müssen. Freiwillig oder gezwungen bis zum 55. Lebensjahr „ranzuklotzen“ und dann 20 bis 30 Jahre den Ruhestand zu genießen, werden sich die meisten von uns nicht leisten können oder wollen. Die Vorstellungen, dass nach dem Arbeitsleben erst das eigentliche Leben beginnt und ein 65-Jähriger oder eine 65-Jährige die Berufstätigkeit nur als Last empfindet, sind da wohl kaum noch zeitgemäß.

Doch wer kalauert eigentlich, dass eine Gesellschaft der Alten unbedingt alt aussehen muss?

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