Alimentum ultimum 09/01 (Das letzte Gericht)

Johannes

Erwin winkt ab. Der Ehemann meiner Berliner Cousine Elvira weigert sich, im Bundeswaschhaus am Spreebogen zur Ernährung eingehende plakative Pressemitteilungen noch zur Kenntnis zu nehmen. Das Abnehmprogramm "Lustvoll schlank" geht in die Verlängerung , Fette Zukunft: Diabetikerzahl wächst stetig (24.07.), Fett durch den Sommer mit Eiskaffee (30.07.), Deutschland braucht Ernährungsmedizin so nötig wie das tägliche Brot ("Hilfe, ich bin zu dick!") (01.08.), Fett bringt uns um! (10.08.) und ähnlich Bedrohliches ficht ihn schlicht nicht an, sagt er.

Bei seines Kanzlers Finanznot kaum zu glauben: Nicht einmal die Hiobsbotschaft hat ihn erschreckt, dass die in Deutschland auf Fehlernährung zurückzuführenden Kosten im letzten Jahr von 144,64 auf 148, 575 Milliarden Mark angestiegen sein sollen (06.08.). Für Stellen nach dem Komma hat Erwin vor der Umrechnung seiner eigenen Deutschmärker in Euros ohnehin nie Interesse aufgebracht. Die ihm hinterhältig zugespielte Nachricht, dass Jod Müde und Schlappe munter mache (07.08.), sieht er nur als schwachbrüstiges Plagiat überalterter Werbung für Milch an.

Stutzig geworden ist er allerdings bei dem Aufreißer "Sex, Rotwein, Eis und Stress als Migräne-Auslöser entlarvt" (01.08.). Dümmlicherweise hat er Elvira davon unterrichtet und meinem Hinweis auf Phenylethylamin enthaltende Lebensmittel wie Schokolade und Käse argumentativ unbedacht Veränderungen des Hormonspiegels entgegengesetzt. Meiner einwendenden Frage, was er davon denn nun hätte und wie er Elvira auch noch den Verzicht auf Eis und eisgekühlte Getränke begreiflich machen wolle, begegnet er offenen Mundes bedeppert. Wie viele Männer ist er sich bislang des geschlechtsspezifischen Unterschiedes zwischen rationalen und emotionalen Denkstrukuren nicht bewusst gewesen.

Dann jährte sich am 13. August zum 40. Male der Mauerbau, und Erwins für die Position des Regierenden Bürgermeisters kandidierender Parteifreund erkor sich in seltsamer Eintracht neben der so genannten Bürgerrechtlerin Bohley ausgerechnet Schabowski, das letzte für die Presse und einen folgenschweren Sprachrohrkrepierer verantwortliche Mitglied des Politbüros der SED, zu Beratern für Fragen der inneren Einheit Berlins. Erwin, der am 4. November 1989 in Dresden noch lauthals gesungen hatte, "Über den Wolken muss die Freiheit wohl krenzenlos sein", hatte daraufhin ernstlich erwogen, auch den fletschend grinsenden früheren Berufsjugendlichen, letzten Staatsratsvorsitzenden der DDR und heutigen Freigänger Krenz als Eierkopf für dieses Gremium vorzuschlagen.

Dass er davon Abstand genommen hat, rechne ich mir als Verdienst an. Eins hat Erwin die Erfahrung seiner Nachwendeehe mit meiner seinerzeit noch Bonner Cousine Elvira sichtlich gelehrt, dass diese nämlich kaum etwas mehr stresst als Zitate aus dem Parteichinesischem, sei es aus dem früheren oder dem heutigen. Und bleiben wir ehrlich: Nichts fürchten (treue) Männer bei ihren (gestressten) Lebensabschnittsgefährtinnen eindringlicher als Migräne, wenn‘s nun einmal druckt (saloppe bayerische Zustandsbeschreibung). EU09/01

                            

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