Lebensmitteltrends: Kokosöl

  • 12.10.2016
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  • Redaktion
  • Dr. Sabine Schmidt

Vor wenigen Jahren war „Kokosöl“ in der deutschen Küche noch nahezu unbekannt – im Gegensatz zum Kokos-Plattenfett, welches in deutschen Haushalten, der Gastronomie und der Lebensmittelindustrie seit Jahrzehnten zum Backen und Braten verwendet wird. Inzwischen ist Kokosöl als neues „Superfood“ auch in deutschen Supermärkten angekommen. Zunächst wurde es von der Kosmetikbranche als Bestandteil von Haut- und Haarpflegemitteln (wieder-)entdeckt. Ausgehend von der US-amerikanischen Schauspielerinnen- und Modelszene werden seine angeblich vielfältigen gesundheitsfördernden Wirkungen auch als Lebensmittel nun seit geraumer Zeit in den Medien und der Internetcommunity verbreitet.

Kokosöl hilft laut seinen Befürwortern zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Krankheiten und Krebs, fördert die Gewichtsabnahme und hilft gegen Bakterien, Viren und Pilze. Das sei nicht verwunderlich, denn es sei „seit Jahrtausenden für viele Völker ein Grundnahrungsmittel“ und „eines der natürlichsten Öle“.1 Die Internetseiten, die bei Google bei der Eingabe des Begriffs „Kokosöl“ ganz oben erscheinen, sind dabei zweifelhaftester Herkunft – u. a. eine tunesische Online-Marketing-Agentur, die bei der Verbraucherzentrale schon in Zusammenhang mit dem Vertrieb eines Chia-Samen-Produkts unter dem Mäntelchen der „unabhängigen“ Information aufgefallen ist.2

Wie verhält es sich aber wirklich mit den „sagenhaften“ Eigenschaften des neuen Wunderöls? Hierzu haben LOCKYER und STANNER von der British Nutrition Foundation in diesem Jahr einen Bericht verfasst [1], dessen Ergebnisse im Folgenden vorgestellt werden.
Sowohl das bekannte „Kokosfett“ als auch das neue (native) Kokosöl werden aus dem Fruchtfleisch der Kokosnuss gewonnen: Um das Plattenfett zu gewinnen, wird das getrocknete Fruchtfleisch (genannt Kopra) gepresst und/oder extrahiert, das gewonnene Öl anschließend raffiniert, gebleicht und desodoriert. Durch diesen industriellen Prozess entsteht ein weißes, festes, geschmackloses Fett, das wegen seiner Hitzebeständigkeit gerne zum Braten verwendet wird [2]. Sog. natives Kokosöl wird hingegen aus dem frischen, nicht getrockneten Fruchtfleisch oder der Kokosmilch extrahiert und nicht weiter chemisch behandelt [1]. Auch das Kokosöl ist bei Raumtemperatur fest und schmilzt erst ab ca. 25 °C.

Das Öl der Kokosnuss enthält rund 92 % gesättigte Fettsäuren (SFA – saturated fatty acids) (zum Vergleich: Butter enthält ca. 52 % SFA), 6,4 % einfach und 1,5 % mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Auffallend ist der mit rund 50 % hohe Gehalt an Laurinsäure (C12:0; [2]), daneben sind größere Mengen Myristin- und Palmitinsäure enthalten (zusammen 20–25 %). In geringeren Mengen sind auch die mittelkettigen Fettsäuren (MCT – medium-chain triglycerides) Capryl- (C8:0) und Caprinsäure (C10:0) enthalten (zusammen rund 14 %), wobei von manchen Autoren auch die Laurinsäure zu den MCTs gezählt wird. Vor allem das native Kokosöl enthält auch eine Reihe von Polyphenolen (u. a. Ferulasäure und Katechin), welche z. T. in wesentlich höherer Konzentration aber auch in vielen anderen pflanzlichen Lebensmitteln enthalten sind [1], sowie etwas Vitamin E (1,8 mg/100 g – zum Vergleich: Rapsöl 18,9 mg; Sonnenblumenöl 62,5 mg) [3].

Der sehr hohe Gehalt an gesättigten Fettsäuren in Kokosöl lässt aufhorchen, ist doch seit langem bekannt, dass gesättigte Fettsäuren den Fettstoffwechsel ungünstig beeinflussen und so das Risiko von Herz-Kreislauf-Krankheiten erhöhen. Die Fachgesellschaften empfehlen daher seit Jahren eine niedrigere Zufuhr von gesättigten und eine höhere Zufuhr von ungesättigten Fettsäuren, welche sich vorwiegend in pflanzlichen Lebensmitteln finden, aber eben nicht in Kokosöl. Einige Studien, die die negativen Wirkungen von SFA in letzter Zeit infrage stellten, haben der Vermarktung von Kokosöl als Gesundheitsförderer nun den Weg bereitet. LOCKYER und STANNER analysieren in ihrem Artikel die verfügbaren Studien zu Kokosöl und den Wirkungen von SFA auf Gesundheitsparameter [1]. Sie kommen zu folgenden Schlüssen:
Die derzeitige wissenschaftliche Studienlage spricht weiterhin dafür, dass eine hohe Zufuhr gesättigter Fettsäuren sich negativ auf den Fettstoffwechsel auswirkt und damit das Risiko, an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu erkranken, erhöht. Wird ein Teil der gesättigten durch ungesättigte Fettsäuren ersetzt, sinkt dieses Risiko. Oft zitierte Beobachtungsstudien zum Zusammenhang zwischen Kokosölverzehr und Herz-Kreislauf-Parametern (z. B. Prior et al. 1981 [4]) waren in den Ergebnissen uneinheitlich und ließen mögliche Kofaktoren, die Einfluss haben könnten (u. a. den Lebensstil) außer Acht.
Es ist nach aktueller Studienlage nicht davon auszugehen, dass ein höherer Prozentsatz von MCTs in der Ernährung langfristig die Gewichtsabnahme relevant verbessert, denn die Ergebnisse verschiedener wissenschaftlicher Studien hierzu sind äußerst heterogen.3

Darüber hinaus sind in Kokosöl nur 14 % „echter“ MCTs (Capryl- und Caprinsäure) enthalten – Laurinsäure wird zwar z. T. auch zu diesen Fetten gezählt, wird aber bereits anders metabolisiert, was gegen eine vergleichbare Wirkung spricht. Die Behauptung, dass Kokosöl ein wirksames Mittel gegen Viren und Bakterien aller Art (inkl. HIV!) sei, ist ein Beispiel für die unzulässigen und generalisierenden Schlüsse, die im Marketing gerne verwendet werden: Tiermodell- und in-vitro- Studien haben zwar gezeigt, dass v. a. Monolauringlycerat eine dementsprechende Wirkung zeigen kann, Humanstudien gibt es jedoch bisher nur zur Anwendung von Monolauringlycerat auf der Haut. Ebenfalls nicht bekannt ist, in welcher Menge Monolauringlycerat, die selbst in Kokosöl nicht enthalten ist, in vivo tatsächlich aus Laurinsäure gebildet wird. Das gleiche gilt für den postulierten Präventionseffekt gegen Demenz: Auch hier gibt es nur einzelne Studien, die einen solchen Effekt für die Gabe eines künstlichen Präparates mit Caprylsäure fanden, welche jedoch in Kokosöl nur in geringer Konzentration enthalten ist.

Anmerkung der Redaktion:
Kokosöl enthält zu einem hohen Prozentsatz Laurin-, Myristin- und Palmitinsäure, für die ein das LDL-Cholesterin erhöhender Effekt nachgewiesen ist. Im Gegensatz zu Oliven- und Rapsöl, denen eine große Anzahl an Studien gesundheitsfördernde Effekte (bei maßvollem Verzehr, denn auch sie bestehen vorwiegend aus energiereichem Fett) bescheinigen, gibt es bisher kaum wissenschaftlich haltbare Nachweise für die propagierten Gesundheitseffekte von Kokosöl. Als Zutat zu exotischen Gerichten kann natives, nicht raffiniertes Kokosöl (ebenso wie Kokosmilch) in kleinen Mengen zu einem angenehm frisch-süßlichen Geschmack beitragen und daher die deutsche Küche bereichern. Es gibt aber keinen gesundheitlichen Grund, Kokosöl in größeren Mengen zu verzehren. Ohnehin außer Acht gelassen sind hier sozialkritische und ökologische Fragestellungen der Kokosölproduktion.

Sabine Schmidt, Pohlheim

1 www.zentrum-der-gesundheit.de/kokosoel-ia.html; s. a. www.kokosoel.info/ 
2 www.lebensmittelklarheit.de/produkte/werbung-fuer-naduria-chia-samen-auf-chia-sameninfo 
3 Diese Einschätzung entspricht auch einem Statement der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) von 2011 zum Thema MCTs und Gewichtsabnahme [5].

Literatur:
1. Lockyer S, Stanner S (2016) Coconut oil – a nutty idea? Nutrition Bulletin 41: 42–54
2. Temes W et al. Lebensmittel-Lexikon. 4. überarb. Aufl., Behr‘s Verlag, Hamburg (2005)
3. Heseker H, Heseker B. Nährstoffe in Lebensmitteln.
4. aktual. erw. Aufl., Umschau Zeitschriften Verlag, Wiesbaden (2013) 4. Prior IA et al. (1981) Cholesterol, coconuts, and diet on Polynesian atolls: a natural experiment: the Pukapuka and Tokelau island studies. AJCN 34: 1552–1561
5. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) (2011) Mittelkettige Triglyceride für Adipositastherapie nicht empfehlenswert. DGEinfo 02/2011: 18–21

=> In der nächsten Ausgabe (11/2016) widmet sich der Special-Beitrag den Chancen und Risiken von „Superfoods“.



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 10/16 auf den Seiten M564-M565.

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