Ernährungspolitik: Wenig inhaltsreiche Ergebnisse des Ernährungsreports 2020

(scs) Wie in den letzten Jahren veröffentlichte auch dieses Jahr das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft seinen Ernährungsreport: „Deutschland, wie es isst“ [1]. Der Report basiert auf einer repräsentativen Telefonumfrage des Instituts forsa bei 1 000 VerbraucherInnen zur Einstellung der Deutschen zur Ernährung [2, 3].

Der Ernährungsreport heißt „Deutschland, wie es isst“, misst aber „Deutschland, was es theoretisch beim Essen wichtig findet“. © dragana991/iStock/Getty Images Plus
Der Ernährungsreport heißt „Deutschland, wie es isst“, misst aber „Deutschland, was es theoretisch beim Essen wichtig findet“. © dragana991/iStock/Getty Images Plus

Nicht zu verwechseln ist der Ernährungsreport als Trendumfrage zu den Einstellungen der Deutschen mit dem Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Letzterer wird mit aufwändigem Verfahren aus einer Vielzahl von wissenschaftlichen Studien jeweils im 4-Jahres-Zeitraum (der 14. Bericht wird dieses Jahr erscheinen) im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zusammengestellt und erhebt das tatsächliche Ernährungsverhalten sowie viele weitere Aspekte der Ernährung in Deutschland. Der Ernährungsreport brachte auch in diesem Jahr wenig Neues: Am wichtigsten ist es den Deutschen demnach beim Essen weiterhin, dass es schmeckt. In der Coronakrise wurde u. a. mehr selbst gekocht, v. a. in Familien mit Kindern [2, 3].

Einige interessante Zahlen gibt es dennoch, v. a. im Bereich vegetarische/vegane Ernährung: 83 % der Befragten können inzwischen korrekt erklären, was „vegane“ Ernährung bedeutet. 1 % ernähren sich nach eigener Aussage vegan, 5 % vegetarisch. 55 % erklären, dass sie manchmal bewusst auf Fleisch verzichten. 18 % der VeganerInnen/VegetarierInnen ersetzen manchmal Fleisch durch Fleischersatzprodukte, z. B. aus Soja oder Weizen, 35 % setzen eher auf alternative Proteinquellen wie Hülsenfrüchte [2, 3].

Viele Ergebnisse geben hingegen eher Absichtserklärungen und allgemeine oder sozial erwünschte Einstellungen der Befragten wieder, bei denen nicht belegt wird, ob sie sich auch in tatsächlichem Verhalten zeigen: So ist über 90 bzw. 80 % der Befragten beim Einkauf nach eigenen Angaben neben dem Geschmack der Gesundheitswert und die Regionalität der Produkte wichtig oder sehr wichtig. Hingegen achten eigener Aussage zufolge nur 46 % darauf, dass diese preiswert sind. Die Hälfte der Befragten gibt an, beim Einkauf „immer“ oder „meistens“ auf das Biosiegel und das Siegel fairer Handel zu achten. Zum gleichen Anteil geben die Befragten an, diese auch „häufig“ oder „sehr häufig“ zu kaufen. 81 % halten ein staatliches Tierwohllabel für wichtig oder sehr wichtig, 83 % die Zutatenliste. Gefragt nach der landwirtschaftlichen Produktion geben sogar etwas mehr VerbraucherInnen an, dass ihnen eine artgerechte Tierhaltung wichtig ist, als dass ihnen Qualität wichtig ist.

Der zumindest geäußerte Wunsch nach Regionalität und Tierwohl wird vom BÖLW (Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft) in einer Pressemeldung zum Ernährungsreport aufgegriffen [4]: „Ein weiteres Jahr zeigen die Menschen Ernährungsministerin Klöckner, was sie wollen. Gesundes, umwelt- und tierfreundlich hergestelltes Essen ohne Gentechnik. Dafür sind die Deutschen bereit, weniger Fleisch zu essen und tiefer in die Tasche zu greifen.“ Der BÖLW schlussfolgert, dass die Bundesregierung von den Deutschen „einen klaren Auftrag hat, Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion enkeltauglich zu machen“ [4].

Der Bauernverband und das BMEL hingegen freuen sich über den Wunsch der VerbraucherInnen nach regionalen Produkten (⇒ Meldung auf Seite M380) und die „starke Wertschätzung für die deutsche Landwirtschaft“ [5]: Die Wertschätzung für die deutsche Landwirtschaft ist während der Coronakrise bei ca. 40 % der Befragten gestiegen.

Kommentar: Ein mittlerweile jährliches Ritual: Das BMEL wie auch alle Verbände nutzen die Aussagen des Ernährungsreports jeder auf ihre Weise. Für Oliver Huizinga von foodwatch ist der ganze Ernährungsreport vorwiegend eine „PR-Aktion“ [6]. Die schwachen, wenig neuen und im Report nie hinterfragten Ergebnisse zu den Einstellungen der Deutschen bezüglich Ernährung (artgerechte Tierhaltung ist VerbraucherInnen wichtiger als Qualität – bei < 2 % Bio unter den vom Tier stammenden Produkten?) hinterlassen einen Eindruck von Verschwendung von Steuergeldern, um die eigene Politik zu rechtfertigen, in welche Richtung auch immer sie geht. Darüber wie Deutschland in Wirklichkeit isst, erfahren wir im Ernährungsreport nichts, dazu müssen wir in den Ernährungsbericht der DGE oder die Nationale Verzehrstudie des MRI schauen.

-> Meldung und Kommentar in voller Länge in unserer Online News vom 8.6.2020

Literatur:

  1. BMEL: Deutschland wie es isst – Der BMEL-Ernährungsreport 2020. www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/ernaehrungsreport-2020.html  (last accessed on 6 June 2020).
  2. BMEL: Ernährungsreport 2019/2020. www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ernaehrung/forsa-ernaehrungsreport-2020-tabellen.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (last accessed on 6 June 2020).
  3. BMEL: Ernährung in der Corona-Krise. www.bmel.de/Shared Docs/Downloads/DE/_Ernaehrung/forsa-ernaehrungsreport2020-tabellen-corona.pdf?__blob=publicationFile&v=2  (last accessed on 6 June 2020).
  4. BÖLW: Deutsche wollen Ernährungswende, Regierung muss handeln. Pressemeldung vom 29.05.2020.
  5. Deutscher Bauernverband: Starke Wertschätzung für die heimische Landwirtschaft. Pressemeldung vom 29.05.2020.
  6. SWR2 Tagesgespräch: Oliver Huizinga, Foodwatch e. V.: „Ernährungsreport ist reine PR-Strategie“. Sendung vom 29.05.2020, 7:07 Uhr.


Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 7/2020 auf Seite M382.

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