Technische Universität München: Themenfülle und Qualität beim „Update Ernährungsmedizin 2017“

(scs) Bereits zum 8. Mal fand in München im Oktober die vom ZIEL – Institute for Food & Health und der TU München unter Leitung von Prof. Hans HAUNER organisierte Fortbildungsveranstaltung für Ernährungsfachkräfte und -mediziner/-innen statt. Die Redaktion der ERNÄHRUNGS UMSCHAU war zum ersten Mal vor Ort und stellte fest: Mehr Fortbildung geht in zwei Tagen nicht. Eine Auswahl der „Updates“ findet sich in diesem Bericht.

Lebensmittelallergien: Toleranz erhalten

Im Themenblock „Lebensmittelallergien“ zeigte PD Dr. med. Christina SCHNOOP die Prävalenz von Lebensmittel(LM)allergien in Europa mit Zahlen zu Selbsteinschätzung vs. medizinischer Diagnose. Deutschland nimmt einen Spitzenplatz in der Anzahl selbst eingeschätzter LM-Allergien ein: Diese liegt zehnmal höher als die gesicherten medizinischen Diagnosen (> 30 % vs. ca. 3 %). In Frankreich, wo es laut SCHNOOP kulturell nicht „en vogue“ sei, Lebensmittel nicht zu vertragen, stimmen mit je ca. 3 % der Befragten Selbsteinschätzung und Diagnose ziemlich genau überein. Die Referentin betonte, dass Bioresonanz, Kinesiologie und IgG-Messungen keine Aussagekraft für das Vorliegen einer Allergie hätten. Wie auch in der ERNÄHRUNGS UMSCHAU schon thematisiert1, wiesen SCHNOOP und anschließend Ökotrophologin Claudia KUGLER darauf hin, dass LM, wenn sich klinisch keine allergischen Symptome zeigen, auch bei labordiagnostisch nachgewiesener Sensitivität regelmäßig gegessen werden sollten, um eine Toleranz zu bewahren.

Von der bariatrischen zur metabolischen Chirurgie

Prof. Thomas HÜTTL, Ärztlicher Direktor der Chirurgischen Klinik München-Bogenhausen, erläuterte, warum die „bariatrische“ Chirurgie aus Sicht der Medizin zur „metabolischen“ Chirurgie wird: Studien2 hätten gezeigt, dass z. B. ein noch nicht lange bestehender Diabetes mellitus Typ 2 (DMT2) nach einer bariatrisch-chirurgischen Maßnahme zum Teil völlig verschwinde und Patienten im Vergleich zu nicht operierten Kontrollen eine verminderte Herz-Kreislauf-Morbidität aufwiesen. Er konstatierte, dass eine stark ausgeprägte Adipositas eine nicht heilbare Erkrankung und eine OP ab BMI-Werten > 50 alternativlos sei. Dr. med. Otto DIETL, Co-Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie in der gleichen Klinik, erläuterte, wie essenziell eine langfristige, regelmäßige Nachsorge inklusive Ernährungstherapie und Kontrolluntersuchungen (u. a. Nährstoffstatus) für den langfristigen Erfolg solcher OPs ist.

Pränatale Stoffwechselprogrammierung

Prof. Regina ENSENAUER, Universitätskinderklinik Düsseldorf, betonte die Bedeutung der pränatalen Stoffwechselprogrammierung für die Gewichtsentwicklung von Kindern: Tierexperimente haben erbracht, dass Nachkommen fettreich ernährter Muttertiere auch dann später dicker als Kontrolltiere werden, wenn sie selbst von normal ernährten Ammen gesäugt und niemals hyperkalorisch ernährt werden. Ein hohes Ausgangsgewicht und eine zu große Gewichtszunahme der Mutter während der Schwangerschaft werden inzwischen als Risikofaktoren für ein späteres Übergewicht des Kindes gewertet. Aufgrund von Daten der PEACHES-Studie3 postulierte ENSENAUER überdies, dass der HbA1C-Wert der Mutter bei der Geburt das spätere Risiko der Mutter, an DMT2 zu erkranken, genauer voraussagt als ein positiver Glukosetoleranztest in der Schwangerschaft. Damit biete sich ein interessanter Marker für die gesundheitliche Entwicklung auch der Mütter.

Mangelernährung in der Onkologie

Ein engagiertes Plädoyer für eine größere Bedeutung der Ernährungstherapie in der medizinischen Betreuung onkologischer Patienten hielt Dr. Oliver MARSCHAL, Onkologe und Haematologe in eigener Praxis aus Braunschweig. Er berichtete, dass 80 % (!) der Tumorpatienten am Anorexie-Kachexie-Syndrom sterben. Krankenhausverweildauer und Krankheitskosten würden bei verbessertem Ernährungszustand sinken. Er berichtete aber auch über die Hürden für niedergelassene Ärzte in der Verordnung von Trinknahrung und künstlicher Ernährung und die Zahlungsunwilligkeit privater Krankenkassen. Weiterhin kritisierte er, dass zu viele Kliniken mit onkologischen Abteilungen kein Screening auf Mangelernährung durchführten und kein Ernährungsteam hätten. Schließlich betonte er, dass eine aufbauende Ernährungstherapie bei onkologischen Patienten mit Muskelverlust und Sarkopenie allein nicht ausreiche, sondern diese unbedingt und auch unter Chemotherapie ergänzend zu ausreichender Bewegung angehalten werden müssen. MARSCHALls Erfahrungen mit Patienten, die Sport treiben, seien vielversprechend.

Proteinreiche Ernährung erhöht Säurelast

Prof. Roswitha SIENER4, Urologin im Universitätsklinikum Bonn, stellte klar, bei welchen Erkrankungen ein gestörter Säure-Basen-Haushalt eine Rolle spielt, wie er ausgelöst wird und welche Ernährungsfaktoren Einfluss darauf haben. Sie zeigte, wie eine proteinreiche Ernährung zu einer höheren Säurebelastung führt und erläuterte, dass diese bei gesunden Menschen durch den Verzehr von Gemüse und Obst aufgefangen wird. Problematisch sei ein zu hoher Proteinverzehr v. a. dann, wenn kein Gemüse und Obst gegessen würden und die Ausscheidungsleistung der Nieren sinke – durch Alterungsprozesse und bei Nierenerkrankungen; angesichts des Protein-Trends eine wichtige Einschätzung. Neu ist ein Ansatz, durch den Einsatz von Zitraten die glomeruläre Filtrationsrate bei chronischer Niereninsuffizienz zu erhalten – die Redaktion hofft, darüber nächstes Jahr ausführlicher berichten zu können.

Fazit: Teilnahmeempfehlung. Insgesamt eine („Stamm“teilnehmern zufolge regelmäßig) gut organisierte Veranstaltung mit 17 Vorträgen in eineinhalb Tagen und daher vollgepackt mit aktuellen Informationen. Wir werden versuchen, auch in den nächsten Jahren regelmäßig zu berichten.

1 Reese I: Update Lebensmittelallergien. Ernährungs Umschau 6/2016
2 u. a. die schwedische SOS Studie von 2012, veröff. in JAMA 307: 56–65
3 www.klinikum.uni-muenchen.de/Peaches-Studie/de/peaches/index.html  
4 Siener R: Säure-Basen-Haushalt und Ernährung. Ernährungs Umschau 10/2011; Getränke in der Ernährungstherapie der Urolithiasis. Ernährungs Umschau 4/2016



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 11/17 auf Seite M613.

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