Nachschlag: Überzuckerung

Der Kampf um die Frage: „Ist Zucker ungesund?“ steht zurzeit einmal mehr im Zentrum vieler Pressemitteilungen. Der 12. August wurde von foodwatch zum „Kinder-Überzuckerungstag“ ausgerufen, denn an diesem Tag hatten Kinder in Deutschland die sich aus dem DGE-Richtwert für die Aufnahme von zugesetztem Zucker ergebende jährliche Obergrenze bereits erreicht.

Unverdrossen titelte indes der Zuckerverband am 14. August als Replik zur aktuellen forsa-Umfrage zum Nutri-Score1 noch einmal: „Nutri-Score ist eine Verbraucherfalle“. Lebensmittel ließen „sich nicht in gesund und ungesund einteilen“.

Der mit den Gewichtsproblemen der Menschen im Überfluss konfrontierten Ernährungsfachkraft geht an dieser Stelle der (Zucker)Hut hoch:
Das Argument gegen die Vereinfachung der Sichtweise auf gesunde vs. ungesunde Lebensmittel ist zwar ein nützlicher Hinweis, wenn man auf die Vielfältigkeit von Lebensmitteln, auf Genussfähigkeit und eine ausgewogene Zusammenstellung im Sinne von „tut auch meinem Körper gut“ abhebt. Als Argument für die Unbedenklichkeit von Zucker ist es dagegen schlichtweg falsch, so oft dies von den Lobbyisten auch wiederholt wird: Sehr wohl sind Süßigkeiten und stark gezuckerte Softdrinks per se ungesunde Lebensmittel, da energiereich und nährstoffarm.

Umso unverantwortlicher ist es für Unternehmen, den Bemühungen der Ernährungsaufklärung, Essen nicht in schwarz und weiß einzuteilen, solchermaßen zu spotten. Natürlich sollen Lebensmittel nicht „verteufelt“ werden, aber nicht, um die Absätze der Zuckerwirtschaft zu retten! Der Hintergrund ist vielmehr, VerbraucherInnen von ihrem schlechten Gewissen zu entlasten, auch mal vermeintlich „böse“ Lebensmittel essen zu dürfen. Schwarz-Weiß-Denken verbunden mit Frust über wieder nicht eingehaltene Essregeln ist, wie schon der frühere DGE-Präsident Pudel in den 1990ern konstatierte, der positiven Beschäftigung mit einer Ernährung, die mir selbst guttut, nicht förderlich. Flexibilität und eine Sicht auf unsere Nahrung als Ganzes – als Sattmacher, Gesunderhalter, Genussmittel, aber auch Krankheitsursache – hilft, mit dem Überfluss besser umzugehen.

Was nicht hilft, ist die Weigerung der Zuckerindustrie und der Politik, einen nötigen Struktur- und Denkwandel mutig voranzubringen oder zumindest mitzutragen. Mut ist hier auch gefragt für Marketing-StrategInnen: Hört auf zu behaupten, dass Zucker gar nicht so ungesund ist, und beschränkt euch auf das, was die Menschen an Zucker seit Jahrhunderten schätzen: den Genuss süß schmeckender Speisen, der unsere Esskultur durchzieht mit einer Fülle regionaler Kreationen, die aber eben etwas Besonderes für „ab und zu“ bleiben müssen, will man die Insulinsekretion nicht zu sehr strapazieren. Das wäre eine ehrlichere Werbebotschaft.

Ihre Sabine Schmidt

1 www.foodwatch.de/fileadmin/-DE/Themen/Ampel/Dokumente/2019-08-14_forsa_Umfrage_Nutri-Score.pdf 



Diesen Artikel finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 9/2019 auf Seite M568.

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