Editorial 11/09: (Oxidativer) Stress?

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler
Herausgeber

In vielen englischsprachigen Zeitschriften gibt es die Einrichtung „Letter to the Editor“. Teilweise in jedem Heft geht man dort kritisch auf Inhalte oder Teilaussagen eines Artikels ein. Die angegriffenen Autoren erhalten die Möglichkeit zur Stellungnahme. Eine damit vergleichbare Streitkultur gibt es in Deutschland noch nicht. Auch die Ernährungs Umschau erhält eher selten kritische Zuschriften. In diesem Heft liegt ein vergleichbarer Fall vor, allerdings keine Replik zu einem Artikel, sondern eher ein offener Brief mit Beantwortung (s. S. 633).

Dazu möchte ich mir einige Bemerkungen erlauben. 1. Die physiologische Wirkung und Bedeutung von Vitamin E und C werden nicht angetastet, da sind sich sicher alle einig. 2. Es geht also um Dosen, die über den physiologischen Bedarf hinaus gehen und die heute da und dort empfohlen werden. Sicherlich geht es auch um Wirkungen anderer Antioxidanzien, insbesondere aus dem Bereich der „sekundären“ Pflanzenstoffe. 3. Der viel beschworene „Oxidative Stress“ ist offensichtlich schwer zu lokalisieren und seine schädliche Wirkung nicht immer eindeutig nachzuweisen. Es ist außerdem schwierig, die vielen Daten von Zellversuchen ex vivo auf die Systeme in vivo – unseren Organismus – zu übertragen. 4. Wenn ich es richtig verstehe, steht der oxidative Vorgang in einem gewissen Gleichgewicht mit antioxidativen Kräften. Oxidation ist Stoffwechsel, ist Leben, aber auch Vergehen. Sie darf nicht überhandnehmen, auf der anderen Seite aber auch nicht zu sehr unterdrückt werden.

Die Befunde, dass z. B. Vitamin E in hoher Dosierung in bestimmten physiologischen Situationen nicht unbedingt gut tut, mehren sich. Eine gesicherte Evidenz gibt es m. E. bisher weder in der einen noch in der anderen Richtung. Es wird interessant sein, welchen Standpunkt die EFSA dazu einnehmen wird. Sie wird festlegen, was Verkäufer dem Verbraucher zunächst versprechen dürfen oder nicht. Für Vitamin C hat sie den Oxidationsschutz bereits bejaht, allerdings mit der Dosisangabe von 200 mg/Tag (Quelle: s. Beitrag auf S. 658). Langfristig wird man weitere Studien erwarten dürfen.

Unabhängig davon, wie der Zwist ausgeht – vermutlich trifft man sich, wie so oft, irgendwo in der Mitte –, es bleibt spannend. Es grüßt sie aus der gesunden (nicht oxidativ stressigen) Kieler Luft.

Ihr
Helmut Erbersdobler

Das könnte Sie interessieren
Kongressluft, Kongressduft weiter
Schnittstellendialog „From Farm to Fork“ weiter
Definition „pflanzenbasierte Ernährung“ – ein Anstoß zur Diskussion weiter
Erfolgreicher VDD-Bundeskongress für Ernährungstherapie weiter
Gemeinsam stark: Die Kraft des Ehrenamts in unserem Verband weiter
Prof. Dr. Heiner Boeing neues Ehrenmitglied der DGE weiter