• Alkoholkonsum und -abhängigkeit
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16. April 2018

Alkoholkonsum und Alkoholabhängigkeit in Deutschland

© YakobchukOlena / iStock / Thinkstock
Alkohol ist die am weitesten verbreitete psychoaktive Substanz in Deutschland. Alkoholische Getränke sind Teil der deutschen Ess- und insbesondere der Freizeitkultur in allen Altersgruppen ab dem Jugendalter; Alkoholkonsum ist in allen Gesellschaftsschichten akzeptiert. Anders sieht es mit der Alkoholabhängigkeit aus: Obwohl regelmäßiger Alkoholkonsum verbreitet ist, werden die gesundheitlichen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen weitgehend ausgeblendet.

Gesundheitliche Auswirkungen

Ethanol selbst und auch einige seiner Metaboliten wirken auf vielfältige Weise gesundheitsschädigend. Dadurch ist Alkoholkonsum an der Entstehung von mehr als 200 Krankheiten beteiligt (sog. alkoholattributable Krankheiten). Einige davon sind vollständig auf Alkohol zurückzuführen (z. B. alkoholische Leberzirrhose), die meisten jedoch anteilig (z. B. ischämische Herzkrankheit). Nicht-übertragbare Krankheiten stehen klar im Vordergrund, obgleich durch die Schwächung des Immunsystems auch übertragbare Krankheiten durch Alkoholkonsum begünstigt werden können [8].

Zu den nicht-übertragbaren alkoholattributablen Krankheiten gehören Krebserkrankungen, Leberzirrhosen, ischämische Herzkrankheit und zerebrovaskuläre Krankheiten [9]. Das globale Netzwerk des World Cancer Research Fund (WCRF) kommt aufgrund der aktuellen Studienlage zu dem Schluss, dass der Konsum alkoholischer Getränke das Risiko für Krebserkrankungen von Mund, Rachen und Kehlkopf, Speiseröhre, Leber, Kolorektum sowie Brust erhöht [10].

Alkoholattributable Erkrankungen entwickeln sich häufig über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten, was mutmaßlich die vergleichsweise hohe alkoholbedingte Todesrate bei Personen zwischen 55 und 64 Jahren in Deutschland erklärt [11]. Bei jungen Menschen ist dagegen ein großer Teil der alkoholbedingten Krankheits- und Mortalitätslast auf Unfälle und Verletzungen zurückzuführen. Insgesamt ist Alkoholkonsum für etwa 10 % aller durch vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahre in Deutschland verantwortlich [12].

Eine Sonderstellung im Bereich der alkoholattributablen Erkrankungen nimmt die fetale Alkoholspektrumstörung (FASD, auch bekannt als fetales Alkoholsyndrom) ein. Sie bezeichnet spezifische Schädigungen des ungeborenen Kindes als Folge von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft, da Alkohol die Plazenta ungefiltert passiert. Ursächlich ist meist chronischer Konsum, aber FASD kann auch durch einzelne Trinkepisoden verursacht werden, wenn diese in besonders sensible Entwicklungsphasen fallen. Auch das genaue Bild der Störung und die Stärke seiner Ausprägung sind von der Entwicklungsphase zum Zeitpunkt der Störung abhängig. Prinzipiell kann sich FASD in Wachstumsstörungen, Beeinträchtigungen des zentralen Nervensystems und physiognomischen Auffälligkeiten äußern [13]. Die Prävalenz von FASD in Deutschland wird auf 41 Fälle pro 10 000 Geburten geschätzt [14].

Der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und der Entstehung alkoholbezogener Krankheiten ist komplex. Für so gut wie alle Erkrankungen zeigt sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung: Je höher die durchschnittliche Konsummenge an Alkohol ist, desto höher ist das Erkrankungsrisiko. Die Stärke des Zusammenhangs variiert jedoch in Abhängigkeit von der jeweiligen Krankheit [15].

Daraus ergibt sich eine Verringerung des Krankheitsrisikos durch jegliche Art der Reduktion des Alkoholkonsums, wobei der Effekt umso größer ist, je höher die Trinkmenge liegt [16].

Zudem hat Rauschtrinken, also der Konsum großer Mengen zu einer Gelegenheit, einen zusätzlichen Effekt insbesondere auf die ischämische Herzkrankheit, FASD und Unfälle bzw. Verletzungen, der vom Effekt der durchschnittlichen Trinkmenge unabhängig ist [15] (• Kasten 1).

KASTEN 1: MODERATER ALKOHOLKONSUM NICHT OHNE RISIKO

Viel diskutiert wird ein möglicher protektiver Effekt mäßigen Alkoholkonsums. Während für die meisten kardiovaskulären Erkrankungen (z. B. Kardiomyopathie, Arrhythmien, arterieller Hypertonus) jeglicher Alkoholkonsum einen Risikofaktor darstellt, scheint ein regelmäßiger Konsum geringer Mengen der chronischen ischämischen Herzkrankheit (v. a. Atherosklerose) und Diabetes mellitus Typ 2 entgegenzuwirken. Neben dem Alkohol selbst werden als weitere Ursachen für den protektiven Effekt u. a. nicht-alkoholische Inhaltsstoffe des Rotweins vermutet, die antioxidativ wirken [13]. Der protektive Effekt geringen Konsums wird jedoch schon durch eine einzelne Episode höheren Konsums eliminiert [17]. Zudem bezieht er sich lediglich auf einzelne Krankheiten. Betrachtet man den gesamten Organismus, übersteigt selbst beim Konsum geringer Mengen das Gesundheitsrisiko den protektiven Effekt [9]. Der positive Effekt von Alkohol scheint damit in der Bevölkerung häufig massiv überschätzt zu werden. Es gibt nur einen risikoarmen, aber keinen risikofreien Alkoholkonsum [15, 18].

Soziale Folgen

Die sozialen Folgen des Alkoholkonsums sind vielfältig und umfassen unterschiedliche Bereiche [19]. Einen wichtigen Teil stellen Arbeitsausfälle dar, die kurzfristig durch akute Verletzungen oder Nachwirkungen des Konsums entstehen, mittelfristig durch Rehabilitationsmaßnahmen und dauerhaft durch das Ausscheiden aus dem Beruf aufgrund alkoholbezogener Krankheiten. Bezüglich einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit sind etwa 3,7 % aller Rentenzugänge in einem Jahr auf alkoholische Leberkrankheiten, Alkoholabhängigkeit oder schädlichen Alkoholgebrauch zurückzuführen. Bei Männern liegt dieser Anteil mit rund 7 % höher als bei Frauen [20]. Die Techniker Krankenkasse (TK) berichtete, dass bei Fällen von Arbeitsunfähigkeit durch psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol im Jahr 2016 die durchschnittliche Anzahl an Ausfalltagen 37,4 pro betroffener Person betrug [21].

Die polizeiliche Kriminalstatistik hat für das Jahr 2016 insgesamt 236 843 Tatverdächtige bei Straftaten unter Alkoholeinfluss registriert. Dies entspricht 10 % aller Tatverdächtigen [22]. Der Anteil aller unter Alkoholeinfluss begangenen, aufgeklärten Straftaten lag im gleichen Jahr bei 9,3 %. Besonders häufig wurde Alkoholeinfluss bei Fällen von Widerstand gegen die Staatsgewalt (53,3 %) festgestellt. Auch schwere Gewaltdelikte sind in hohem Ausmaß mit dem Einfluss von Alkohol verbunden. So wurde bspw. etwa jeder dritte Totschlag (34,7 %) und jede vierte Vergewaltigung (23,1 %) von einem Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss begangen.

Die negativen Folgen des Alkoholkonsums zeigen sich auch bei Verkehrsunfällen. Im Jahr 2015 wurden 13 239 Unfälle im Straßenverkehr registriert, bei denen mindestens ein Beteiligter unter Alkoholeinfluss stand [23]. Dabei kam es zu 256 Todesopfern. Den größten Anteil an allen alkoholisierten Unfallbeteiligten stellten PKW- und Radfahrer.

Schäden für Dritte

Alkoholkonsum ist nicht nur mit negativen Folgen für die trinkende Person sowie für die Gesellschaft verbunden, sondern auch für außenstehende Dritte. So ist unter Alkoholeinfluss die Wahrscheinlichkeit für Verletzungen, Gewalt im öffentlichen oder häuslichen Rahmen oder für sexuelle Übergriffe erhöht. Im Jahr 2014 wurden bei Verkehrsunfällen, bei denen der Hauptverursacher alkoholisiert war, 5 486 Personen über die Verursacher hinaus verletzt; davon verunglückten 68 Personen tödlich. Schätzungen gehen allerdings davon aus, dass diese Zahl stark unterschätzt ist und die tatsächliche Anzahl deutlich höher liegt [14].

Gewalttaten, bei denen der Täter alkoholisiert war, führten 2014 zu insgesamt 766 Todesfällen. Opfer von gewaltbedingten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung durch Täter unter Alkoholeinfluss wurden 2 275 Personen, Opfer sexuellen Missbrauchs 2 289 Personen und Opfer von Körperverletzung 159 608 Personen. Insgesamt geschahen 26 % der Gewalttaten durch alkoholisierte Personen [14]. Allerdings umfassen diese Statistiken lediglich aufgeklärte Straftaten, sodass die wahre Rate vermutlich deutlich höher liegt.

Schäden für Dritte finden aber auch auf erheblich weniger prekäre Weise statt. In einer Umfrage in der Allgemeinbevölkerung gab etwa ein Drittel der Personen an, im vergangenen Jahr negative Folgen durch den Alkoholkonsum anderer erlebt zu haben. Am häufigsten wurden dabei Belästigungen im öffentlichen Raum, nächtliche Ruhestörungen und Beschimpfungen genannt [24].