Welche Form der Nährwertkennzeichnung hilft den Verbrauchern bei der Kaufentscheidung?
Welche Form der Nährwertkennzeichnung hilft den Verbrauchern bei der Kaufentscheidung? Foto: gpointstudio/iStock

Nutri-Score oder Wegweiser Ernährung: Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zu zwei „Front-of-Pack“-Nährwertkennzeichnungs-Systemen.

  • 12.03.2020
  • Online PLUS
  • Heike Dierbach
  • Luise Molling
  • Tobias Effertz
  • Hans Hauner

Ergebnisse und Diskussion

Ergebnisse und Diskussion
Tab. 1: Den Kennzeichnungssystemen zugeordnete Eigenschaften. an 100 Prozent fehlende Angaben = „weiß nicht“
Tab. 1: Den Kennzeichnungssystemen zugeordnete Eigenschaften. an 100 Prozent fehlende Angaben = „weiß nicht“
Tab. 2: Beurteilung Nutri-Score nach Bildungsabschluss und BMI
Tab. 3: Gewünschte Eigenschaften bei einem Kennzeichnungssystem für Lebensmittel (in %)
Tab. 3: Gewünschte Eigenschaften bei einem Kennzeichnungssystem für Lebensmittel (in %)

In den meisten Dimensionen bevorzugte die große Mehrheit der Befragten den Nutri-Score (•Tabelle 1). 90 % empfanden ihn als das auffallendere Logo – für den Wegweiser Ernährung sagten dies nur 2 %. Die Farbgebung des Nutri-Score beurteilten 88 % als die eher sinnvollere (Wegweiser Ernährung 3 %). 87 % hielten eher den Nutri-Score für schnell erfassbar – nur 5 % wählten hier den Wegweiser Ernährung. Den Wegweiser Ernährung hielten hingegen 65 % der Befragten eher für kompliziert – für den Nutri-Score sagten dies 4 %.

Besonders aufschlussreich war die Auswertung nach Bildungsabschluss und Körpergewicht (•Tabelle 2). Vor allem Personen mit Hauptschulabschluss gaben an, dass der Nutri-Score die Auswahl gesunder Lebensmittel im Vergleich zum Wegweiser Ernährung eher erleichtert (66 % versus 53 % der Befragten mit Abitur). Auch Befragte mit Adipositas (n= 225) empfanden den Nutri-Score in diesem Punkt häufiger als hilfreicher (68 % versus 56 % der Befragten mit Normalgewicht). Zugleich beurteilte diese Gruppe den Wegweiser Ernährung besonders oft als das kompliziertere Logo (72 % versus 60 % der Befragten mit BMI unter 25).

Lediglich in der Dimension „liefert genügend Informationen“ schnitt der Wegweiser Ernährung bei allen Befragten besser ab (•Tabelle 1). Allerdings war diese Eigenschaft den Befragten auch am wenigsten wichtig (•Tabelle 3): Nur 35 % hielten detaillierte Informationen auf der Vorderseite der Verpackung für „sehr wichtig“. Wichtiger war den Verbrauchern, dass das Kennzeichnungssystem eindeutig (72 %), leicht verständlich (70 %) und unkompliziert (61 %) ist.

Insgesamt bevorzugten 69 % der Befragten den Nutri-Score als Kennzeichungssystem, 25 % den Wegweiser Ernährung. Männer und Frauen unterschieden sich dabei nicht wesentlich. Noch stärker fiel die Präferenz für den Nutri-Score bei Personen mit Hauptschulabschluss, mit Adipositas und über 60 Jahre aus: Hier wählten jeweils 75 % den Nutri-Score, während sich rund 20 % für den Wegweiser Ernährung entschieden (Daten nicht gezeigt).

Diskussion

Unsere repräsentative Umfrage ergab, dass die deutschen Verbraucher im direkten Vergleich den Nutri-Score weitaus günstiger beurteilen als den Wegweiser Ernährung, insbesondere in den Dimensionen Auffälligkeit und Verständlichkeit. Der Wegweiser Ernährung wird als eher kompliziert und verwirrend empfunden und in der Folge als weniger hilfreich für eine gesunde Produktauswahl. Die deutliche Mehrheit der Befragten, vor allem Personen mit Hauptschulabschluss oder Adipositas, präferieren den Nutri-Score als Kennzeichnungssystem für Deutschland.
Die Ergebnisse stützen somit Befunde wissenschaftlicher Studien, in denen der Nutri-Score mit anderen Kennzeichnungssystemen verglichen wurde [25–27]. In fast allen Studien erwies sich der Nutri-Score als das System, das die Verbraucher am besten verstehen. Inzwischen gibt es auch konsistente Hinweise, dass die Verwendung einer Ampelkennzeichnung günstige Effekte auf den Lebensmitteleinkauf und -verzehr hat [16, 17]. Auch hier erwies sich eine Ampelkennzeichnung bzw. der Nutri-Score anderen Systemen zur Nährwertkennzeichnung überlegen. Lediglich explizite Warnhinweise auf Lebensmittelverpackungen zum Gehalt von Salz, Zucker oder gesättigten Fetten scheinen ähnlich effektiv oder stärker wirksam zu sein [19–21].

Stärken der Untersuchung
Dies ist die erste Umfrage, die die Verbraucherverständlichkeit des Wegweiser Ernährung und des Nutri-Score im direkten Vergleich erfasst. Sie liefert fundierte Daten, um zu einer fachgerechten und verbraucherfreundlichen Entscheidung für ein neues Nährwert-Kennzeichnungssystem in Deutschland beizutragen. Durch die Fokussierung auf zwei Labels und das Entweder/Oder-Fragendesign ist die Aussagekraft besonders hoch. Das Studiendesign gewährleistete dabei, dass die Bedingungen für beide Labels vergleichbar waren. Eine Verfälschung zu Gunsten eines Labels konnte damit weitgehend ausgeschlossen werden. Die Ergebnisse können aufgrund der Stichprobenziehung außerdem als repräsentativ für die deutsche Bevölkerung angesehen werden.

Limitationen der Untersuchung
Es handelt sich bei der vorliegenden Arbeit nicht im engeren Sinne um eine wissenschaftliche Studie, sondern um eine Meinungsumfrage – die allerdings repräsentativ war und nach a priori festgelegten Kriterien durchgeführt wurde. Dieser Survey stellt damit eine sinnvolle Ergänzung zur aktuellen Studienlage dar. Wegen der Notwendigkeit, den Befragten beide Labels isoliert und auf unterschiedlichen Produktver-packungen zu zeigen, wurde die Methode der Online-Erhebung gewählt. Aufgrund der Offline-Rekrutierung der Teilnehmer des Online-Panels forsa.Omninet waren Internet-Wenignutzer im Panel vertreten, nicht eingeschlossen war jedoch die Gruppe der Nicht-Internetnutzer. Eine weitere Limitation betrifft die Fragestellung: Die Verbraucher bewerteten nicht jedes System für sich, sondern sollten sich zwischen den beiden Systemen entscheiden. Dennoch konnten die Teilnehmer auch als Antwort anzukreuzen, wenn sie keinen Unterschied zwischen den Systemen sahen. Die meisten Teilnehmer bekundeten aber eine klare Präferenz für ein System.

Fazit

Diese Umfrage lieferte als eindeutiges Ergebnis, dass deutsche Verbraucher den Nutri-Score im Vergleich zum Wegweiser Ernährung, der vom Max-Rubner-Institut im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft entwickelt wurde, deutlich bevorzugen. Da das präferierte NWK-System zudem in vielen Settings und unter diversen Fragestellungen wissenschaftlich evaluiert wurde, erscheint es auch für die Lebensmittelkennzeichnung in Deutschland besonders geeignet zu sein. Kurz nach der Veröffentlichung dieser Umfrage kam eine vom BMEL in Auftrag gegebene Umfrage zu einem ähnlichen Ergebnis [28]. Ernährungsministerin Klöckner kündigte daraufhin die Einführung des Nutri-Scores in Deutschland auf freiwilliger Basis ab 2020 an. Sie will sich zudem für eine Einführung des Nutri-Scores auf Ebene der Europäischen Union einsetzen. Diese wäre die Voraussetzung für eine verpflichtende Kennzeichnung.


Der vollständige Ergebnisbericht ist auf www.dank-allianz.de, der DDG-Website und  www.foodwatch.de veröffentlicht.

Angaben zu Interessenkonflikten:
Dierbach H: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.
Molling L: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.
Effertz T: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.
Müller U: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.
Hauner H: hat Vortrags- und Beratungshonorare von den Firmen Nestlé Deutschland, Danone Deutschland, Bofrost und Rettenmeier & Söhne erhalten.

Danksagung:
Dieses Projekt wurde von folgenden Fachgesellschaften/Verbänden gemeinsam finanziert: Verbraucher-organisation foodwatch e.V., Deutsche Diabetes-Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Deutsche Diabetes-Stiftung, Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, Deutsche Adipositas-Gesellschaft und Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin

Literatur

  1. Institute of Medicine. Front-of-package nutrition rating systems and symbols: Promoting healthier choices. The National Academies Press, Washington 2012.
  2. Kessler DA: The federal regulation of food labeling, promoting foods to prevent disease. N Engl J Med 1989; 321: 717–25.
  3. Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittel-Informationsverordnung) vom 25 Oktober 2011. URL: eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/ Zugriff 08.10.2019
  4. Grunert K: Research in Consumer Behavior: Beyond Attitudes and Decision-Making. European Research: J Europ Soc Opin Market Res 1988; 16 (5): 172–83.
  5. Dijksterhuis A, Smith PK, van Baaren RB, et al.:The unconscious consumer: effects of environment on consumer behavior. J Consum Psychol 2005; 15(3): 193–202.
  6. Dawson S, Bloch PH, Ridgway N: Shopping motives, emotional states, and retail outcomes. J Retail 1990; 58: 34–57.
  7. Alain S, Voyer BG: Two minds, three ways: dual system and dual process models in consumer psychology. AMS Rev 2012; 2: 48–71.
  8. Kaneko D, Toet A, Brouwer AM, et al.: Methods for evaluating emotions evoked by food experiences: a literature review. Front Psychol 2018; 9: 911.
  9. Canetti L, Bachar E, Berry EM: Food and emotion. Behav Process 2002; 60: 157–64.
  10. Gutjar S, de Graaf C, Kooijman V, et al.: The role of emotions in food choice and liking. Food Res Int 2015; 76 (2): 216–23.
  11. Velasco Vizcaíno F, Velasco A: The battle between brands and nutritional labels: How brand familiarity decreases consumers' alertness toward traffic light nutritional labels. J Bus Res 2019; 101: 637–50.
  12. Sánchez-García I, Rodríguez-Insuasti H, Parreño JM, et al.: Nutritional traffic light and self-regulatory consumption: the role of emotions. Brit Food J 2019; 121 (1): 183–98.
  13. Sunstein, C, Thaler RH: Libertarian paternalism is not an oxymoron. U Chi L Rev 2003; 70(4): 1159–202.
  14. Ni-Mhurchu C, Eyles H, Jiang Y, et al.: Do nutrition labels influence healthier food choices? Analysis of label viewing behaviour and subsequent food purchases in a labelling intervention trial. Appetite 2018; 121: 360e–65.
  15. Lobstein T, Davies S: Defining and labelling ‘healthy’ and ‘unhealthy’ food. Public Health Nutr 2009; 12(3): 331–40.
  16. Marette S, Nabec L, Durieux F: Improving nutritional quality of consumer’s food purchases with traffic-light labels: an experimental analysis. J Consum Policy 2019; 42: 377–95.
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  18. Allais O, Albuquerque P, Bonnet C, et al.: Evaluation Expérimentation Logos Nutritionnels.Rapport pour le FFAS. [Fonds Français pour l’Alimentation et la Santé, March 14, 2017]. Paris: France 2017.
  19. Corvalan C, Reyes M, Garmendia ML: Structural responses to the obesity and non-communicable diseases epidemic: The Chilean law of food labeling and advertising: Food labeling legislation favoring public health in Chile. Obes Rev 2013; 14: 79–87.
  20. Correa T, Fierro C, Reyes M, et al.: Responses to the Chilean law of food labeling and advertising: exploring knowledge, perceptions and behaviors of mothers of young children. Int J Behav Nutr Phys Act 2019; 16(1): 21.
  21. Nieto C, Jauregui A, Contreras-Manzano A, et al.: Understanding the use of food labelling systems among Whites and Latinos in the United States and among Mexicans; results from the International Food Policy Study. Int J Nutr Behav Phys Act 2019; 19: 87.
  22. CDU, CSU und SPD: Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Berlin 2018.
  23. Max-Rubner-Institut. Beschreibung und Bewertung ausgewählter „Front-of-Pack“-Nährwertkennzeichnungs-Modelle. Karlsruhe 2018.
  24. Max-Rubner-Institut. Entwurf des MRI für ein „Front-of-Pack“-Nährwertkennzeichnungs-Modell. Fachliche Basis. Karlsruhe 2019.
  25. Julia C, Hercberg S: Nutri- Score: evidence of the effective-ness of the French front-of-pack nutrition label. Ernahrungs Umschau 2017; 64(12): 181–87:
  26. Egnell M, TalatiZ, Hercberg S, et al.: Objective understanding of front-of-package nutrition labels: an international comparative experimental study across 12 countries. Nutrients 2018; 10: 1542.
  27. Egnell M, Talati Z, Pettogrew S, et al.: Comparison of front-of-pack labels to help German consumers understand the nutritional quality of food products. Color-coded labels outperform all other systems. Ernährungs Umschau: 2019; 66(5): 76–84.
  28. Info GmbH. Studie “Erweiterte Nährwertkennzeichnungs-Modelle“. Berlin 2019.

 

 

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