Fachtagung des Verbands für unabhängige Gesundheitsberatung (UGB) in Gießen: Ernährungsfortbildung mit großer Themenvielfalt
- 02.07.2025
- Online PLUS
- Redaktion
Die Tagung startete mit dem komplexen Zusammenhang zwischen Gesundheit und Krankheit aus der bio-psychosozialen Perspektive, vorgestellt von Dr. med. G. Schwarz, Laubach. Im Zuge der wissenschaftlichen Aktivitäten entstand der Begriff „Psychoneuroendokrinoimmunologie“. Insbesondere die psychologische Stressforschung trägt dazu bei, ein neues Verständnis über Gesundheit und Krankheit zu entwickeln. Demnach kann Gesundheit als Fähigkeit, autoregulativ auf pathogene Faktoren einzuwirken, verstanden werden. Daraus ergeben sich oft andere Behandlungsansätze als die rein pathogenetischen Ansätze in der klassischen Medizin und Ernährungstherapie. Ein wichtiger Baustein ist die Zuwendung in der therapeutischen Beziehung.
Prof. Dr. med. M. Fasshauer (Uni Gießen) nahm die Getränke als Gesundheitsfaktor unter die Lupe und kam zu dem Schluss, dass insbesondere die Softdrinks ein großes Problem darstellen. Anhand der Endpunkte Demenz, Depression, kardiovaskulärer Erkrankungen und Mortalität war das Morbiditätsrisiko mit Ausnahme der Demenz im Vergleich zu Kaffee/Tee, Fruchtsaft und milchbasierten Getränken bei den Softdrinks am stärksten ausgeprägt. Fasshauer führte den Effekt auf die Inhaltsstoffe (Aromen, freier Zucker, Süßungsmittel) zurück, die ihrerseits zum einen das Darmmikrobiom beeinträchtigen, zum anderen hedonisches Essverhalten fördern.
Den Einfluss sozialer Medien auf das Essverhalten betrachtete Prof.in Dr. S. Biehl, Hochschule Fulda. Soziale Medien, insb. bildorientierte Plattformen, können die Körperwahrnehmung und das Essverhalten erheblich beeinflussen. Es wird eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper getriggert. Schätzungsweise betrifft dies etwa 40 % der Mädchen und 7 % der Jungen im Alter von 11–15 Jahren mit steigender Tendenz mit zunehmendem Lebensalter. Durch algorithmische Verstärkung, d. h. erhöhte Exposition gegenüber ungesunden Idealen durch die Plattform-Algorithmen werden die Kinder und Jugendlichen verunsichert. Idealisierte Bilder von Influencer*innen und Vorschläge zur Gewichtsreduktion treiben die Nutzer*innen in einen Drang zur Selbstoptimierung. Auch Mobbing in den Peergroups ist ein belastender Faktor. Ansätze zu Prävention und Intervention sind v a. Kompetenzvermittlung und Stärkung des Selbstwertgefühls. Die Nutzer*innen sollten die Social-Media-Inhalte kritisch reflektieren können (Medienkompetenz). Positive Aktivitäten und Erfolge sollten in den Fokus rücken. Zudem ist eine Unterstützung im sozialen Umfeld mit Vorbildfunktion und Offenheit für Gespräche erforderlich.
Das Essverhalten und die multifaktoriellen Einflüsse standen im Fokus des Vortrages von Laureen Kuhl M.Sc., Uni Gießen. Anhand der europaweiten Studie PLAN´EAT wurden u. a. die Barrieren einer Verhaltensänderung in Richtung der Zielverhaltensweisen analysiert und die Optionen und Grenzen der Ernährungsberatung betrachtet.
Zu der Lebensmittelgruppe „Nüsse, Schalenfrüchte und Ölsaaten“ gab Dipl. oec. troph. Hans-Helmut Martin (Gießen) einen umfassenden, aktuellen Überblick und sprach eine Empfehlung zum Verzehr von 30–60 g am Tag als Snack oder Speisezutat aus. Abgesehen von positiven ökologischen Aspekten tragen diese kleinen Kerne zur Gesunderhaltung und einer höheren Lebenserwartung bei.
Dr. med. Rainer Matejka (Bad Brückenau) skizzierte präventive und therapeutische Möglichkeiten der verschiedenen Fastenmethoden, zeigte aber auch Kontraindikationen auf. Auch auf den kostensparenden Effekt gegenüber anderen Therapien wurde hingewiesen.
Die Journalistin und Buchautorin Christiane Grefe (Berlin) forderte das Auditorium zur Reflexion heraus und konstatierte, dass der Wert unserer Böden nur unzureichend geschätzt werde, obwohl sie die Grundlage unserer Existenz darstellen. Gut bearbeitete und naturbelassene Böden geben den Raum für eine diverse Flora und Fauna. Ein großes Problem stellt die zunehmende Versiegelung dar. Angesichts der begrenzten Flächenressourcen ist nicht nur ein Umdenken, sondern auch Handeln auf allen gesellschaftlichen Ebenen erforderlich. Es wurden Vorschläge für Politik und Wirtschaft zur Umverteilung und Effizienzsteigerung unterbreitet.
Katrin Schweitzer (Universitätsklinik Gießen-Marburg) berichtete von einer zunehmenden Inzidenz der eosinophilen Ösophagitis seit zwei Jahrzehnten, insbesondere in der pädiatrischen Population. Heute ist sie die zweithäufigste Erkrankung des Ösophagus. Es wird angenommen, dass die Lebensweise mit einem hohen Verzehr an hochverarbeiteten Lebensmitteln und Emulgatoren als ätiologischer Faktor zu werten ist. Die Folge ist ein verändertes Mikrobiom in der Speiseröhre, das zu Barrierestörungen beiträgt und folglich immunologische Reaktionen im Sinne einer Entzündung fördert. Eosinophile Granulocyten, die sonst eher im Zusammenhang mit klassischen Allergien und der Abwehr von Parasiten bekannt sind, werden durch bestimmte Cytokine aus der Ösophagusschleimhaut aktiviert und wandern in die Schleimhaut ein. Dort setzen sie aggressive Substanzen frei. Gewebeschäden und Symptome wie Hautausschlag, Atemnot oder sogar Anaphylaxien können die Folge sein. Als häufigste Trigger-Lebensmittel wurden Kuhmilch, Hühnerei, Weizenprotein, Soja, Nüsse sowie Fisch bzw. Meeresfrüchte identifiziert. Die Diagnose wird basierend auf klinischen Beschwerden sowie den Resultaten aus Endoskopie und Histologie gestellt. Die kombinierte Therapie mit medikamentösen Optionen und Ernährungstherapie strebt die Remission an. Neben einer aminosäurebasierten Elementardiät stehen verschiedene Strategien der Eliminationsdiät zur Verfügung. Ein Testverfahren zur Identifikation der Trigger-Lebensmittel existiert derzeit nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die auslösenden Lebensmittel im Laufe des Lebens ändern können. Somit ist eine intensive, fachliche Begleitung unerlässlich.
Den Auftrag, den Stellenwert von Essen und Verpflegung im Heimalltag zu überdenken, erteilte Küchenmeister Herbert Thill, Edertal. Besonders bedeutend ist ein funktionierendes Schnittstellenmanagement mit einer guten Kommunikation zwischen den Beteiligten zur Verbesserung der Qualität und Effizienz der Versorgung. Gegenwärtig werden die Essenszeiten und die Qualität den Bedürfnissen der Heimbewohner nicht gerecht. Das zeitliche Management richtet sich nach den Abläufen in der Pflege, aber nicht nach den Bewohnerbedürfnissen. Dass es durchaus Lösungsansätze für eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Versorgung gibt, wird anhand einiger Beispiele deutlich. Sowohl der Verarbeitungsgrad als auch die Darreichung und die zeitliche Dimension können an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden.
Das Zusammenspiel von Silent Inflammation, Ernährung, Stress und Bewegungsmangel analysierte Prof. Karsten Krüger, Uni Gießen. Im Lebensverlauf ist das Immunsystem deutlichen Veränderungen unterworfen. Dabei unterscheidet man einen Rückgang der adaptiven Immunantwort („Immunseneszenz“) vom Phänomen „Inflammaging“, einer chronisch-entzündlichen Entzündungsaktivität, die pathophysiologisch mit zahlreichen altersassoziierten Erkrankungen verknüpft ist. Bei der Immunseneszenz führen Veränderungen im Profil der T-Zell-Populationen zu einer gesteigerten Sekretion proinflammatorischer Mediatoren und einer chronischen Inflammationslage, die mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität im Alter assoziiert sind. Lebensstilfaktoren sind in der Lage, die Immunalterung effektiv zu modulieren und zur Erhaltung der Immunfunktion beizutragen. Akute körperliche Belastung steigert die Rekrutierung und Mobilisierung von Immunzellen in den Blutkreislauf, wobei regelmäßige moderate Bewegung langfristig eine verbesserte Immunfunktion stabilisiert. Einhergehend mit dem Abbau von Fettdepots nimmt die systemische Entzündungsneigung ab. In der Kombination aus Ausdauertraining (Stärkung der kardiovaskulären Fitness und entzündungshemmender Signalwege) und Krafttraining (für den Erhalt der Muskelmasse und ihrer Funktionalität) ist Bewegung ein ideales „Immuntraining“, mit dem man in jedem Alter beginnen kann.
Andrea Fischer M. Sc. (UGB, Gießen) räumte in ihrem Beitrag mit Fehlinformationen und Mythen rund um das Thema Stillzeit auf. Viele Behauptungen sind nicht belegt. Effekte von Malzbier oder Bockshornklee auf die Milchbildung können nicht nachgewiesen werden. Ebenso wirken Salbei und Minze keineswegs hemmend auf die Milchproduktion. Dagegen wirkt sich ein häufiges Stillen bzw. Entleeren der Brust fördernd auf die Milchbildung aus. Die Milchproduktion lässt sich durch Steuerung des Stillrhythmus und Stärkung der Mutter gut regulieren.
Abschließend stellte M. Sc. Sandra Strehle (Gerstetten) das Qualitätssicherungskonzept „E-Zert Ernährungstherapie“ sowie die E-Zert-Plattform vor und warb für eine Registrierung und Zertifizierung im Sinne einer vergleichbaren hohen Qualität in der Ernährungstherapie.