Essstörung: Anorexia nervosa: Gewichtszunahme verändert Epigenetik nicht

Die Essstörung Anorexia nervosa ist eine schwerwiegende psychische Erkrankung. Das stark reduzierte Körpergewicht der Patient*innen wird häufig durch ein restriktives Essverhalten aufrechterhalten. Neben psychologischen und sozialen Faktoren spielt auch die Biologie eine Rolle. Während über den Einfluss der genetischen Veranlagungen inzwischen Vieles bekannt ist, ist unklar, welchen Anteil epigenetische Prozesse haben.

Unter Epigenetik werden Veränderungen in der Genregulation verstanden, die nicht die DNA-Sequenz selbst betreffen, sondern durch chemische Modifikationen wie die DNA-Methylierung gesteuert werden. Solche Prozesse beeinflussen, welche Gene aktiv sind und welche nicht. Da die Epigenetik potenziell durch Umweltfaktoren wie Stress oder auch Ernährung beeinflusst wird, gilt sie als Schlüsselmechanismus, um äußere Einflüsse auf Krankheiten zu erklären. Auch in der Regulation des Körpergewichts wird der Epigenetik eine relevante Rolle zugesprochen. „Wenn das Körpergewicht tatsächlich einen Einfluss hat, dann sollten gerade in stationär behandelten Patient*innen mit Anorexia nervosa klare Veränderungen nachweisbar sein“, erklärt Dr. Luisa Rajcsanyi, Autorin der Studie.
Eine aktuelle Studie [1] des Instituts für geschlechtersensible Medizin der Universität Duisburg- Essen kam nun jedoch zu folgendem Ergebnis: Obwohl Patient*innen mit Anorexia nervosa während einer stationären Therapie innerhalb weniger Monate stark an Gewicht zunahmen, zeigten sich keine einheitlichen Veränderungen in ihren DNA-Methylierungsmustern. Diese Ergebnisse stehen in Kontrast zu der Annahme, dass eine Gewichtszunahme unmittelbare epigenetische Effekte auslöst.
Besonders interessierten sich die Forschenden für das NR1H3-Gen, das in früheren Studien widersprüchliche Befunde geliefert hatte. Während eine Untersuchung aus dem Jahr 2015 eine erhöhte Methylierung an diesem Gen festgestellt hatte, zeigte eine Essener Studie von 2018 eher eine Reduktion. Im aktuellen, deutlich größeren Kollektiv mit 189 Patient*innen und 67 gesunden Kontrollpersonen ließ sich keiner dieser Befunde bestätigen. Auch bei drei Patient*innen, die zu Beginn und zum Ende ihres stationären Aufenthalts untersucht wurden, blieben die Methylierungsmuster trotz deutlicher Gewichtszunahme stabil. „Was wir gesehen haben, waren starke interindividuelle Unterschiede zwischen den Patient*innen“, sagt Prof. Anke Hinney, Leiterin der Sektion für Molekulargenetik Psychischer Störungen am LVR-Universitätsklinikum Essen und Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Geschlechtersensible Medizin am Universitätsklinikum Essen. „Jede Einzelne zeigte keine relevanten Veränderungen zwischen Aufnahme und Entlassung. Und auch bei der Betrachtung aller Teilnehmenden fand sich kein einheitliches Muster.“
Die Forschenden schlussfolgern daraus, dass die DNA-Methylierung kurzfristig wahrscheinlich keine zentrale Rolle bei der Regulation des Körpergewichts spielt. Denkbar sei, dass Veränderungen entweder sehr subtil sind und somit mit der kleinen Stichprobe nicht nachweisbar waren oder erst langfristig sichtbar werden. Zudem variiert die DNA-Methylierung je nach Zelltyp, sodass andere Gewebe möglicherweise andere Ergebnisse zeigen könnten.
Dennoch trägt die Studie dazu bei, ein differenziertes Bild von den biologischen Grundlagen der Essstörung zu gewinnen und verdeutlicht zugleich die Grenzen aktueller epigenetischer Erklärungsansätze.

Literatur
1. Rajcsanyi LS, Kesselmeier M, Schröder C, et al.: No indications of weight gain associated DNA methylation changes in patients with anorexia nervosa. Sci Rep 2025; 15, 28870.

Quelle: Universitätsklinikum Essen, Pressemeldung vom 25.09.2025



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 11/2025 auf Seite M646.

Das könnte Sie interessieren
Medienumschau 11/2025 weiter
Vitamin-D-Spiegel während der Pandemie gesunken weiter
Intervallfasten, Low Carb oder Vegan bei Diabetes mellitus weiter
Mikrobiomtypisierung per Speicheltest weiter
Korrektur im Beitrag „Der Bildungsort Esstisch. Gemeinsames Essen als Bildungsanlass“ weiter
Elternbasierte Programme zur Prävention von Adipositas bei Kleinkindern weiter