Fortbildungstagung für Diätassistenten und Ärzte in Mainz: Mangelernährung im Überfluss

(umk) Dass wir in den westlichen Industrieländern in einer Überflussgesellschaft mit vielen negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit leben, ist bereits ein Gemeinplatz geworden. Diätassistenten und Ernährungsmediziner werden in ihrem Berufsalltag jedoch auch mit dem Aspekt „Mangel im Überfluss“ konfrontiert: Sie erleben, dass Mangel- bzw. Fehlernährung das klinische Outcome bei Krankenhausaufenthalten verschlechtert, Heilungschancen verringert und die Lebensqualität der Betroffenen deutlich beeinträchtigt. Nicht zuletzt hat dies auch Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems.

Die auf der Tagung verabschiedete Schulleiterin der Diätschule Mainz Annemarie PRINZ und ihr Nachfolger Dr. Daniel BUCHHOLZ. © Lea Kristina Musolf
Die auf der Tagung verabschiedete Schulleiterin der Diätschule Mainz Annemarie PRINZ und ihr Nachfolger Dr. Daniel BUCHHOLZ. © Lea Kristina Musolf

Für die 26. Fortbildungstagung an der Schule für Diätassistenten des Universitätsklinikums Mainz am 26. Januar 2018 hatten Annemarie PRINZ als fachliche Leiterin und Prof. Matthias M. WEBER als ärztlicher Leiter vor diesem Hintergrund einen spannenden Themenmix mit hoher Praxisrelevanz für Diätassistenten und Ärzte zusammengestellt und konnten in der bereits frühzeitig ausgebuchten Veranstaltung rund 300 Teilnehmer/-innen begrüßen. Im Anschluss an das Fortbildungsprogramm feierten die Teilnehmer das 40-jährige Bestehen der Diätschule und verabschiedeten Schulleiterin Annemarie PRINZ, die die Schule seit 1989 leitete und deren Nachfolge zum 1. 2. 2018 Dr. Daniel BUCHHOLZ antrat. In den Veranstaltungspausen hatten die Teilnehmer Gelegenheit zum Besuch einer Industrieausstellung.

Mangelernährung

Dr. BUCHHOLZ eröffnete die Vorträge auf Basis der Vortragsfolien der erkrankten Referentin Frau Prof. KOHLENBERG-MÜLLER. Er gab ein Update zur Definition und Bedeutung der Mangelernährung für die Ernährungstherapie und arbeitete die Unterschiede der eher allgemeinen WHO-Definition im Vergleich zur ESPEN-Definition von 20171 heraus. Letztere bietet mit einer ätiologiebasierten Differenzierung klare Vorteile für die Diagnose und Therapie. Damit spannte er bereits einen Bogen zu seinem Vortrag zum German Nutrition Care Process (G-NCP) im weiteren Verlauf der Veranstaltung.

Um einer Mangelernährung mit ihren negativen Auswirkungen zu begegnen, ist es notwendig, diese im Klinikalltag frühzeitig und sicher zu diagnostizieren. Obwohl es eine Reihe etablierter und validierter Assessment-Tools gibt, ist deren Akzeptanz in der Praxis gering, da sie als noch zu aufwändig empfunden werden. PD Dr. Christian FOTTNER, Mainz, stellte Arbeiten und ermutigende Ergebnisse zur Entwicklung des Mainzer Mangelernährungs-Screenigtools vor. Ziel ist, dass durch die Erfassung weniger Informationen mit ausreichender Sensitivität Risikopatienten ermittelt werden können, die dann einem ausführlicheren Assessment zugeführt werden können: Am Universitätsklinikum Mainz kann z. B. jede Pflegekraft ein Ernährungs-Assessment auslösen.

Wenn eine enterale oder parenterale Ernährung notwendig ist, steht eine Vielzahl von Produkten verschiedener Anbieter zur Verfügung. Amelie KAHL, B. Sc. Diätetik und Leiterin des Ernährungsteams Krankenhaus Waldfriede Berlin, präsentierte Auszüge einer ausführlichen Marktübersicht, die eine zeitsparende indikationsspezifische Entscheidungshilfe für Praktiker ist. In ihrem Vortrag wurde deutlich, dass in bestimmten Konstellationen aus der Vielzahl der Produkte oft nur eine kleine Auswahl verbleibt.

Finanzierung

Ernährungstherapie im Krankenhaus steht wie alle Abläufe im Gesundheitswesen unter enormem Kostendruck. Wie die Finanzierung von Diätassistenten in der Ernährungstherapie im klinischen Bereich durch Codierung gelingt und welchen Benefit sachgerechte ernährungstherapeutische Versorgung für Patienten und das Krankenhaus erbringen kann, schilderte Lars SELIG, cand. M. ed., Leiter des Ernährungsteams am Universitätsklinikum Leipzig, an konkreten Beispielen. Eine entscheidende Rolle spielt die korrekte Codierung anhand des DRG-Systems. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diätetisch sinnvolle Maßnahmen mit hohem Patientennutzen (Therapierelevanz) nicht immer angemessen im DRG-Schema abgebildet werden können (Codierungsrelevanz). Gerade in größeren Einrichtungen wird so immer eine Querfinanzierung „lukrativer“ Diagnosen/Maßnahmen/Codierungen und solcher mit hohem therapeutischen Nutzen, aber geringer „Rentabilität“ eine Rolle spielen, in der Summe jedoch zu einer besseren Patientenversorgung beitragen und zu einer kürzeren Krankenhausverweildauer führen.

Ernährungstherapeutischer Prozess

In seinem Vortrag zum G-NCP als Qualitätsinstrument bei der ernährungstherapeutischen Intervention der Mangelernährung verknüpfte Dr. BUCHHOLZ dann das Thema des Eingangsvortrags mit dem Thema des Vorredners: Die Etablierung standardisierter Abläufe und einheitlicher Begriffe im ernährungstherapeutischen Prozess erleichtert die Verständigung im interdisziplinären Team. Sie ermöglicht Rückverfolgbarkeit und Dokumentationssicherheit und ist letztlich die Grundlage, um die Qualität und den Erfolg diätetischer Maßnahmen beurteilen und dokumentieren zu können. Dies wiederum ist auch aus abrechnungstechnischen Gründen relevant.

Ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit und den Patientennutzen einer guten Abstimmung zwischen ärztlichem und Pflegepersonal und Diätassistenten schilderten Diätassistentin Diana SANDNER, Leiterin des Ernährungs- und Diabetesteams Mainz, und PD. Dr. Anca ZIMMERMANN, Oberärztin im Bereich Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen. Sie erläuterten die Herausforderungen der Insulintherapie bei enteral und parenteral ernährten Menschen mit Diabetes mellitus (z. B. die Dosisfindung und Praktikabilität der Maßnahmen) und gaben einen Eindruck des komplexen Ineinandergreifens von Labordiagnostik, Einstellung der Diabetestherapie und physiologischer Hintergründe der Hyperglykämie im Postaggressionsstoffwechsel nach einer Operation.

Auf die Bedeutung des Ernährungsstatus in der Onkologie als übersehenes Vitalzeichen wies Nicole ERICKSON, M. Sc. RD vom Klinikum der LMU München hin. Sie machte klar, welchen Einfluss die Erkrankung, aber auch die Therapie auf den Appetit und das Geschmacksempfinden der Patienten haben und ging auf die prognostische Bedeutung eines schlechten Ernährungszustands im Besonderen ein. Zugleich betonte sie, dass alle Versprechungen einer Heilung bzw. Verkleinerung eines Tumors durch Ernährungsmaßnahmen (bislang) jeder Grundlage entbehren. Dennoch ist die angemessene Ernährungstherapie die einzige Intervention, die im Verlauf der Tumorerkrankung dauerhaften Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten hat.

1 => ESPEN = The European Society for Clinical Nutrition and Metabolism. URL: www.espen.org/files/ESPEN-guidelines-on-definitions-and-terminology-of-clinical-nutrition.pdf  Zugriff 23.02.18



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 3/2018 auf Seite M128-M129.

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