Fortschritt und weitere Perspektiven: 2. Zukunftsforum Public Health in Deutschland

(umk) 13 Monate nach der Initialveranstaltung (=> www.ernaehrungs-umschau.de > „Zersplitterung und Parallelstrukturen abbauen“) trafen sich am 11. und 12. Dezember erneut Vertreter der unterschiedlichen Public Health-Bereiche in Berlin. Es galt, die seit dem 1. Zukunftsforum erfolgten Schritte zu reflektieren und zugleich die nächsten Maßnahmen zur Stärkung von Public Health in Deutschland zu definieren.

© Zukunftsforum Public Health
© Zukunftsforum Public Health

Einiges ist mittlerweile geschehen, konnte Prof. Bärbel-Maria KURTH (Robert Koch-Institut) bilanzieren: Strukturell ist mit der Etablierung eines Newsletters (zukunftsforum@rki), der Einrichtung einer Geschäftsstelle und dem Umzug auf eine eigene Website (http://zukunftsforum-public-health.de/) die Grundlage zur Information und Vernetzung aller Akteure gegeben. Mit der Publikation der Ergebnisse des 1. Zukunftsforums [1] sind diese allen an Public Health Interessierten zugänglich und mit der Erweiterung des Teilnehmerkreises – nicht zuletzt um studentische Teilnehmer – wurden sowohl der Vernetzungsgedanke als auch die Zukunftsfähigkeit des Forums auf den Weg gebracht.

Das straffe, zweitägige Programm bot im Wechselspiel von Keynote-Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Workshops und Stationsarbeiten in Form eines World Cafés inhaltlich und methodisch viel Input und Gelegenheit zum Austausch aller Teilnehmer.

(Mindestens) zwei große Aufgaben sind zwar angepackt, bis zur Lösung ist es aber noch ein weiter Weg:

  • Nach wie vor liegt Deutschland gegenüber anderen europäischen Ländern bei der Umsetzung des Public Health-Gedankens in Forschung und Praxis zurück. Dies ist teilweise in der Belastung des Begriffs „Volksgesundheit“ aufgrund der Nazi-Vergangenheit begründet [2]. Aber auch ein Mittel gegen die Gefahr, die verschiedenen Facetten von Public Health in den einzelnen politischen Ressorts – Gesundheit, Sozialwesen, Arbeit, Ernährung usw. – nicht bis zur Unkenntlichkeit zu zerreiben, ist noch nicht gefunden. Bis zu Health in all Policies ist es noch ein weiter Weg.
  • Ebenso deutlich, gerade auf einem Forum, das sich um ein Leitbild für Public Health bemüht, sind die unterschiedlichen Vorstellungen und Zielzuschreibungen der einzelnen Akteure. Sind nun der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) und die Absolventen der neuen Public Health- Studiengänge einander ergänzende und unterstützende Manifestationen von Public Health oder repräsentieren sie die abgeklärten (teilweise abgekämpften) Praktiker einerseits und die abgehobenen Papier-Produzenten andererseits? Hier gilt es, sich zu verständigen und die Chancen der jeweiligen Professionalität zu erkennen, um nach außen geschlossen aufzutreten.

Als ein Beispiel für das Ringen um eine klare Begriffsdefinition mag die Arbeitsgruppe Gesundheitskompetenz/Health Literacy dienen. Selbst innerhalb dieser Arbeitsgruppe wurden Unterschiede in der Interpretation des Begriffs überdeutlich, ganz zu schweigen von der Frage nach der Nützlichkeit des Begriffs, wenn es um den Vergleich der Gesundheitssysteme unterschiedlicher Länder oder um sich daraus ergebende Forderungen an Politik und weitere Akteure des Gesundheitswesens geht. Die Implikationen der verschiedenen Deutungsweisen sind groß: Sind die Verbraucher/Patienten in der Pflicht oder Ärzte und die Vertreter anderer Gesundheitsberufe?

Weitere „Haarrisse“ zeigt das Public Health-Gebäude an den so nötigen Schnittstellen: zur Medizin (v. a. den klinischen Praktikern), zur Epidemiologie und vielen anderen Berufen. Denn wirksame Public Health- Maßnahmen müssen in den verschiedenen Lebenswelten verzahnt sein.

Zentrales Thema: Arm-Reich-Schere

Im Vortrag von Prof. Rolf ROSENBROCK, Präsident des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, wurde überdeutlich: Die überwiegende Mehrzahl aller Public Health-Probleme hängt mit einem einzigen Thema zusammen, der zunehmenden und sich verfestigenden Ungleichheit der Einkommen – plakativ als Arm-Reich-Schere bezeichnet. So ist nicht nur die Lebenserwartung von Menschen in Deutschland im untersten Sechstel der Einkommensverteilung deutlich niedriger, von der verbleibenden Zeit werden auch mehr Jahre in Krankheit verbracht als in den höheren Einkommensgruppen. Dieses Thema sei leider nicht „sexy“ und werde als „prinzipiell unlösbar“ oft ausgeklammert. Hoffentlich haben Public Health-Akteure den Mut und die Ausdauer, dieses Kernthema immer wieder auf die Agenda zu setzen.


 Kommentar:

Ich habe mitgezählt: Das Stichwort „Ernährung“ kam am ersten Tag ganze zweimal vor. Zwar wurde in verschiedenen Vorträgen und Diskussionsbeiträgen auf die zunehmende Bedeutung der nichtübertragbaren Krankheiten eingegangen, doch der für Ernährungsfachkräfte so klare Zusammenhang mit der Ernährungsweise war in den Statements bestenfalls in Nebensätzen zu erahnen oder wurde den sozioökonomischen Faktoren einverleibt. Hier müssen sich Ernährungsfachkräfte viel stärker in die Arbeit des Zukunftsforums Public Health (möglichst schon in der Vorbereitungsphase des nächsten Forums) und an den in den Arbeitsgruppen und Stationen des World Cafés definierten Schnittstellen zur Politik und Gesundheitsforschung einbringen – das Know-how und wichtige Lösungsansätze bringen sie mit!

Dr. Udo Maid-Kohnert



Meldungen und Beiträge mit besonderer Public Health-Relevanz: www.ernaehrungs-umschau.de/onlineplus/public-health-nutrition

Literatur:
1. Plenarvorträge und Ergebnisse der Arbeitsgruppen in Einzelbeiträgen. Gesundheitswesen 11: 898–974
2. Razum O, Vásquez ML (2017) Strengthening public health in Germany: overcoming the Nazi legacy and Bismarck´s aftermaths. Int J Public Health [DOI: 10.1007/s00038-017-1038-6]



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 1/2018 auf Seite M10.

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