Schlacht- und Absatzeinbruch durch Coronakrise und Schweinepest: Schweine „stauen“ sich in Mastställen

(scs) Bis zu 1 Mio. Schweine zu viel drängen sich im Moment in deutschen Schweinemastbetrieben – unter katastrophalen Bedingungen und mit weitreichenden Folgen. Denn die Schweinewirtschaft ist in Deutschland genau durchgetaktet: Schweine nehmen pro Tag bis zu 700 g zu und sind wenige Tage nach Ablauf ihrer vorgesehenen Mastzeit bereits zu schwer und zu groß für den für sie vorgesehenen Platz. Laut Tierschutzbund kommt es aufgrund von Stress zu Verhaltensstörungen und Aggressionen mit manchmal tödlichem Ausgang.

Mehrere Faktoren haben zu dieser zurzeit fast ausweglosen Situation beigetragen: Zuvorderst arbeiten, so erläuterte es Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU), die Schlachtbetriebe aufgrund der Corona-Krise zurzeit auf ganz Deutschland gemittelt nur mit 80 % Auslastung – Krankheitsausfälle und Ausbrüche in Schlachthöfen verringern immer wieder die Kapazitäten und der Shutdown der Gastronomie sowie das Fehlen von Festen und Veranstaltungen mindern die Nachfrage. Dazu kommt der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Brandenburg und Sachsen Ende 2020. Seitdem ist die Nachfrage aus dem Ausland eingebrochen, v. a. die wichtigen Importeure China und Korea nehmen kein deutsches Schweinefleisch mehr ab.

Die fehlenden Schlachtkapazitäten und die eingebrochene Nachfrage sind für Schweinezüchter wie -mäster katastrophal. Erstere machen mit den erzeugten Ferkeln ein für sie wirtschaftlich bedrohliches Verlustgeschäft aufgrund der gesunkenen Nachfrage mit der Folge, dass Betriebe aufgeben müssen. Bei Letzteren „stauen“ sich die Schweine, was zu fatalen und mit den gesetzlichen Vorgaben nicht zu vereinbarenden Engständen in den Ställen führt.

Denkt man nun, der Rückgang schweineerzeugender Betriebe in Deutschland sei doch etwas Gutes angesichts des Klimawandels und für einen gewünschten niedrigeren Verzehr von Fleisch, ist dies zu kurz gedacht. Sobald die Nachfrage nach der Corona-Krise wieder steigen wird, werden wieder Ferkel gebraucht – und dann aus Ländern importiert, deren Tierschutzbedingungen nicht besser, aber schwerer zu kontrollieren sind als die in Deutschland. Otte-Kinast überlegt daher ein Umdenken: „Wir sollten uns fragen, ob weiter so stark für den Weltmarkt produziert werden muss. Höher, schneller, weiter – das ist das Motto der Landwirtschaft, so läuft die Förderung. Der Schweinestau zeigt, dass wir dieses Prinzip prüfen müssen, auch als Verbraucher. Dann braucht es aber eine Ernährungswende, um das Essverhalten zu ändern.“

Anmerkung der Redaktion
Ökologische und Tierschutzverbände fordern seit langem ein solches „Umdenken in der Landwirtschaft“, bisher wurde dies jedoch von interessengeleiteten Parteien weitgehend verdrängt und mit Argumenten wirtschaftlicher Interessen abgeblockt oder ausgesessen. Vielleicht birgt die Corona-Krise tatsächlich eine Chance, die Blockade aufzuweichen – ein Lichtblick gerade im agrarindustriell geprägten Bundesland Niedersachsen. Allerdings sind hier auch von Seiten der VerbraucherInnen echte Taten gefragt und nicht nur Bekenntnisse („würde für tiergerecht erzeugtes Fleisch mehr bezahlen“).

Quellen:
- Nico Schnurr: Landwirtschaft in der Krise – Schweinehalter in Not. Weser Kurier online, 25.01.2021.
- Nico Schnurr: Niedersachsens Agrarministerin im Interview – „Es braucht eine Ernährungswende“. Weser Kurier online, 25.01.2021.
- „Schweine-Stau“: Schweine- und Ferkel-Preis auf Rekordtief. NDR online, 13.01.2021



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 2/2021 auf Seite M62-M63.

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