BfR-Stakeholder-Konferenz – Wie sicher ist sicher?

  • 09.12.2009
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  • Redaktion

Wann sind wir ausreichend vor Gefahren geschützt? Sorgt der Staat dafür, dass Risiken so klein wie möglich bleiben? Nicht nur im Bereich des gesundheitlichen Verbraucherschutzes stellt sich die Frage, wie weit die staatliche Risikovorsorge gehen kann und welchen Grad an Sicherheit staatliche Maßnahmen bieten können, dürfen und müssen. Auf der BfR-Stakeholder-Konferenz „Sicherer als Sicher? Recht, Wahrnehmung und Wirklichkeit in der staatlichen Risikovorsorge“ des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) am 29. Oktober 2009 in Berlin ging es um die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger auf Schutz vor Schädigung in so verschiedenen Bereichen wie Informationstechnik, Innere Sicherheit, Strahlung oder Lebensmittel und darum, wie man diesen gerecht werden kann.

Rund 80 Vertreter/Innen der Wissenschaft und verschiedener Bundesinstitutionen, wie z. B. des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Sicherheit der Informationstechnik debattierten, welchen Beitrag die naturwissenschaftliche Bewertung von Risiken zur Vorsorge und Abwehr von Gefahren leisten kann. Die Expert/Innen überlegten außerdem, inwieweit eine transparent gestaltete Risikokommunikation die Kluft zwischen objektiv gemessener Sicherheitslage und subjektiv empfundener Sicherheit schließen kann. „Wir wissen, dass insbesondere auf dem Feld der Risikowahrnehmung noch viel Arbeit vor uns liegt“, sagte BfR-Präsident Prof. Andreas HENSEL. „Dass in der Wissenschaft eine Problematik oder erhobene Daten unterschiedlich interpretiert werden, trägt zum Beispiel erheblich zu den Differenzen zwischen gefühltem und objektiv gegebenem Sicherheitsniveau bei. Hier müssen wir durch Offenlegung von Verfahren, Kriterien und möglichen Unsicherheiten wissenschaftlicher Risikobewertung Vertrauen schaffen.“

Weshalb aber fordern die Menschen Sicherheit in den verschiedenen Lebensbereichen? In einem Vortrag wurde diese Haltung auf einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in der Einstellung zur Welt zurückgeführt. In der modernen aufgeklärten und säkularisierten Gesellschaft werde Sicherheit als etwas vom Menschen mittels wissenschaftlich-technischer oder administrativer Maßnahmen Machbares verstanden. In der religiös geprägten vormodernen Welt hingegen sei Sicherheit etwas Geschenktes, das vom Menschen letztlich nicht beeinflusst werden könne. Aus der grundsätzlichen Machbarkeit von Sicherheit leiteten die Bürgerinnen und Bürger des modernen Staates häufig einen Anspruch auf absolute Sicherheit ab. Der stets vorhandene, aber meist geringe Rest an Unsicherheit gewinne dadurch oft unverhältnismäßig an Bedeutung. Der Grad des noch vorhandenen Restrisikos stehe folglich meist im Vordergrund der öffentlichen Diskussion und nicht der Grad der bereits erreichten Sicherheit.

Schafft der Staat Sicherheit, so bedeutet das, er greift durch administrative Maßnahmen in Grundrechte ein. Diese Eingriffe dienen der Vorsorge oder der Gefahrenabwehr. Beide Prinzipien sind vor allem in den Rechtsbereichen Umweltschutz und Gesundheitsschutz verankert. Andere Bereiche wie die Innere Sicherheit oder die IT-Sicherheit orientieren sich überwiegend am Rechtsbegriff der „Gefahrenabwehr“. Hier muss eine konkretisierbare Gefahrenlage vorliegen, um Maßnahmen ergreifen zu können. Beim Prinzip der Vorsorge können hingegen Maßnahmen schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr ergriffen werden. Ziel aller staatlichen Maßnahmen ist es, Risiken auf ein gesellschaftlich akzeptables Maß zu beschränken.

Eine wissenschaftsbasierte Risikobewertung ist vielfach die Voraussetzung staatlichen Handelns. Ihr liegen Daten zugrunde, die ihrerseits mit Unsicherheit behaftet sind. Der Grad der Unsicherheit wissenschaftlicher Aussagen wird etwa in Form des möglichen Messfehlers kommuniziert. Zugleich verfügt die Wissenschaft mit der Wiederholbarkeit und der Überprüfbarkeit experimentell gewonnener Daten unter gleichen Bedingungen über Instrumente der Selbstkritik und der Überwachung. Die Sicherheit wissenschaftlicher Aussagen besteht nach Meinung der Expertinnen und Experten eben darin, dass klar definiert ist, innerhalb welcher Bereiche eine Aussage gilt und wo die Unsicherheit anfängt.

Wie sicher sich die Bürgerinnen und Bürger fühlen, hängt neben anderen Faktoren davon ab, ob sie den Institutionen vertrauen, die Aussagen über Risiken treffen. Das gilt für die Beurteilung der Sicherheit technischer Systeme ebenso wie für die Sicherheit von Lebensmitteln oder die öffentliche Sicherheit. Eine transparente Kommunikation des Prozesses der Risikobewertung unter Einbeziehung aller Beteiligten und der daraus abgeleiteten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ist deshalb wesentlich, um die häufig auftretende Diskrepanz zwischen dem individuell gefühlten Grad an Sicherheit und dem objektiv gemessenen Grad an Sicherheit abzubauen. Das gilt insbesondere, wenn sich die Frage stellt, welches Risiko akzeptabel ist und wie hoch das Schutzniveau sein soll.

Risikokommunikation muss dabei nicht nur den Abstand zwischen der individuell gefühlten Unsicherheit und dem objektiv vorhandenen Sicherheitsniveau verringern. Sie muss auch die Grenzen behördlichen Handelns aufzeigen und darlegen, dass ein Zuwachs an Sicherheit etwa im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung und öffentlichen Sicherheit mit einem Verlust an Freiheit oder Selbstbestimmung verbunden sein kann. Gerade im Bereich der Vorsorge ist dieser Grat schmal. Wo endet die Fürsorgepflicht des Staates, wo beginnt die Bevormundung? Eine abschließende Antwort auf diese zentrale ethische Frage konnten die Expertinnen und Experten auf der Konferenz nicht geben. Das Vorsorgeprinzip in den verschiedenen Rechtsbereichen soll deshalb Thema der nächsten BfR-Stakeholder-Konferenz werden. Quelle: BfR (09.12.09)

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