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Erweitertes Nährwertkennzeichnungs-Modell für Deutschland: Verbraucherstudie soll bei Entscheidung helfen

In den letzten Ausgaben der ERNÄHRUNGS UMSCHAU hatten wir mehrmals über die aktuelle Debatte zum sog. Front-of-Pack-Labeling berichtet. In einer Pressekonferenz am 27.6.2019 in Berlin erläuterte Ernährungsministerin Julia Klöckner nun das weitere Vorgehen zur Entscheidungsfindung.

Noch vier Optionen sind im Rennen (Abbildung): Nutri-Score, BLL-Modell, Keyhole® und das erst kürzlich vorgestellte Modell des Max Rubner-Instituts. Bis auf Nutri-Score verzichten alle anderen Systeme auf „Ampel“-Signalfarben – minimalistisch ist das Keyhole-Label, es darf verwendet werden, wenn das Lebensmittel auf Basis einer Liste verschiedener Energie- und Nährstoffkriterien erfüllt.

Über die Kontroverse rund um das Nutri-Score-Label haben wir regelmäßig berichtet:
www.ernaehrungs-umschau.de/news/07-06-2019-nutri-score-beitrag-loest-debatte-aus/ 
www.ernaehrungs-umschau.de/print-news/13-05-2019-zwei-schritte-vor-und-drei-zurueck-kontroverse-um-front-of-pack-labeling/ 
www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2019/05_19/EU05_2019_M260_M268.pdf .

Von Juli bis September 2019 soll nun ein Meinungsforschungsinstitut zu diesen Systemen eine qualitative und quantitative Verbraucherforschung durchführen. Laut Ministerium soll ermittelt werden, inwieweit ein bestehendes System auch objektiv verständlich ist, ohne dass das System erklärt werden müsste und ob die Kennzeichnung „tatsächlich“ verstanden wird. Das Ergebnis soll Grundlage des weiteren Vorgehens sein. Die Bundesregierung muss der Europäischen Union einen Vorschlag vorlegen, eine EU-einheitliche Regelung gibt es bislang nicht (zur Situation in der EU erscheint in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 8/2019 ein Übersichtsbeitrag). Auf Basis der EU-Beurteilung kann dann ein System in Deutschland empfohlen werden, denn die EU-Rechtsetzung lässt nur die Möglichkeit zu, dass die EU-Mitgliedstaaten ein erweitertes Nährwertkennzeichnungs-System als Empfehlung und damit nicht verpflichtende Lösung einführen.

=> www.bmel.de/DE/Ernaehrung/Kennzeichnung/FreiwilligeKennzeichnung/_Texte/Naehrwertkennzeichnungs-Modelle-MRI-Bericht.html 

Kommentar: Der steigende Druck durch Fachgesellschaften und NGOs, auch in Deutschland endlich zu einer Lösung zu kommen, scheint den Vorgang nun zu beschleunigen. Die Hauptkontroverse: Soll ein Nährwertkennzeichnungs-Modell Signalfarben einsetzen, die mit „positiv/unbedenklich–negativ/Gefahr“ assoziiert sind oder führt dies zu „Fehlentscheidungen“ der Verbraucher? Im Straßenverkehr setzen wir auf Ampelfarben: Würde an einer Straßenkreuzung auf einem Schriftdisplay ausführlich die Anzahl zu erwartender tödlicher Unfälle angezeigt, wenn alle Richtungen einfach weiterfahren (vielleicht noch abhängig von der Tageszeit), wäre diese Info vielleicht richtig, aber nicht zielführend. Auch Kaufentscheidungen am „Point-of-sale“ treffen wir oft in kürzester Zeit und sind langfristig nicht immer gesundheitsförderlich.

Es gilt also Abzuwägen zwischen einer detaillierten und sachlich korrekten Deklaration („Erklärwirkung“) und einer eher plakativen Zusammenfassung mit Steuerungswirkung auf das Einkaufsverhalten („Signalwirkung“). Wenn es um idyllische Naturmotive, überproportionale Darstellung wertgebender Zutaten oder Werbekampagnen für Kinder geht, hat ein Teil der Lebensmittelindustrie kein Problem mit Signalreizen, die auf emotional getroffene Kaufentscheidungen zielen. Bei der Nährwertdeklaration scheut zumindest der Noch-Branchenverband BLL diese verkürzte Signalwirkung (Pressemeldung vom 15.5.2019: „Nährwertkennzeichnung muss nicht nur verständlich, sondern zutreffend sein!“). Dies, obwohl zahlreiche Anbieter den Nutri-Score mittlerweile gerne freiwillig einführen würden. Offensichtlich fürchtet der BLL den unmittelbaren Vergleich von Produkten der gleichen Kategorie.

Das ebenfalls angeführte Argument, ein Ampel-Score würde „der Komplexität der Ernährungswissenschaften nicht gerecht“ ist durchsichtig und blockiert zugleich Ansätze zur Verbesserung der Rezepturen gerade von Convenience-Produkten. Denn auch bei einem Ampel-Score müssten die zugrunde liegenden Algorithmen regelmäßig evaluiert und an geänderte Rezepturen und Zufuhrempfehlungen angepasst werden. Wenn dann bei einem Produkt aus dunkelrot ein gelb oder gar grün würde, könnte der Hersteller damit sogar punkten.

Dr. Udo Maid-Kohnert, Pohlheim

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