Welche Form der Nährwertkennzeichnung hilft den Verbrauchern bei der Kaufentscheidung?
Welche Form der Nährwertkennzeichnung hilft den Verbrauchern bei der Kaufentscheidung? Foto: gpointstudio/iStock

Nutri-Score oder Wegweiser Ernährung: Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zu zwei „Front-of-Pack“-Nährwertkennzeichnungs-Systemen.

  • 12.03.2020
  • Online PLUS
  • Heike Dierbach
  • Luise Molling
  • Tobias Effertz
  • Hans Hauner

Ziel dieser repräsentativen Erhebung war es, die beiden favorisierten Optionen, den Nutri-Score und den Wegweiser Ernährung, letzterer im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom Max-Rubner-Institut entwickelt, direkt zu vergleichen. Die große Mehrheit der 1003 befragten Erwachsenen bevorzugte das Nutri-Score-System (69 % vs. 25 %).

Abstract

Nach dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist für 2020 die Einführung einer verbraucherfreundlichen Nährwertkennzeichnung (NWK) für verpackte Lebensmittel vorgesehen, die gut sichtbar auf der Vorderseite von Verpackungen platziert werden soll. Verschiedene Systeme standen bisher zur Auswahl. Ziel dieser repräsentativen Erhebung war es, die beiden favorisierten Optionen, den Nutri-Score und den Wegweiser Ernährung, letzterer im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom Max-Rubner-Institut entwickelt, direkt zu vergleichen. Die große Mehrheit der 1003 befragten Erwachsenen bevorzugte das Nutri-Score-System (69 % vs. 25 %). Die Präferenz war bei Personen mit Adipositas und mit niedrigem Bildungsabschluss besonders hoch. Damit erweist sich eine NWK mit Hilfe des Nutri-Score aus Verbraucherperspektive als beste Wahl.

Schlüsselwörter: Nährwertkennzeichnung, Verbraucherbefragung, Nutri-Score, Wegweiser Ernährung


Abstract: The current German government intends to introduce a consumer-friendly nutrient labelling system for packed foods, visible front-of-pack (FOP), by 2020. Several food labelling systems were available. It was the aim of the current representative consumer survey to directly compare the two most favoured options, the Nutri-Score and the „Wegweiser Ernährung“ (“the nutrition guide”), the latter developed by the Max-Rubner-Institute upon request by the Federal Ministry of Nutrition and Agriculture. The large majority of the 1003 participating adults preferred the Nutri-Score system (69 % vs. 25 %). Preference rates were particularly high among adults with a BMI ≥ 30 kg/m² and participants with a low educational level. In conclusion, FOP food labelling by means of the Nutri-Score system turned out to be the best choice from the consumer perspective.

Key words: food labelling, consumer survey, Nutri-Score, directory nutrition


Autoren:
Heike Dierbach, Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), Berlin
Luise Molling, Foodwatch Deutschland, Berlin
Dr. Tobias Effertz, Institut für Recht der Wirtschaft, Universität Hamburg
Ute Müller, forsa Politik- und Sozialforschung GmbH
Prof. Dr. Hans HAuner, Institut für Ernährungsmedizin, Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München

Korrespondierende Autorin:
Heike Dierbach Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten DANK
c/o Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) Albrechtstraße 9 10117 Berlin
E-Mail: dierbach@ddg.info

Zitierweise:
Dierbach H, Molling L, Effertz T, Müller U, Hans Hauner H (2020) Nutri-Score oder Wegweiser Ernährung? Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zu zwei „Front-of-Pack“-Nährwertkennzeichnungs-Systemen. Ernährungs Umschau. Online Plus. 12.3.2020.

Einleitung

Die Nährwert-Kennzeichnung von Lebensmitteln wird derzeit von führenden Gesundheitsinstitutionen [1] und der Gesundheitspolitik intensiv diskutiert. Vor dem Hintergrund immer komplexer verarbeiteter Lebensmittel seit den 1970er Jahren [2] waren der Verbraucherschutz und die Verbrauchergesundheit die wesentlichen Treiber für ein wachsendes Informationsbedürfnis. Dem wurde durch Gesetze über verbindliche Angaben zu Inhaltsstoffen, Allergenen und Mindesthaltbarkeits- wie Herstellungsdatum nachgekommen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Adipositas in Europa wurde auf EU-Ebene [3] schließlich die Lebensmittel-Informationsverordnung beschlossen, die inzwischen auch in Deutschland eingeführt wurde.

Die aktuelle Verbraucherinformation auf verpackten Lebensmitteln wird von vielen Seiten als unzureichend angesehen. Verbraucher nehmen in einer Einkaufssituation die aktuell verfügbaren Informationen kaum zur Kenntnis, sodass schon seit einiger Zeit eine leicht verständliche „front-of-pack“-Kennzeichnung auf der Vorderseite von Verpackungen gefordert wird.

Der Einkauf von Lebensmitteln wird sehr stark durch Automatismen [4], den Kontext [5] und Emotionen [6] beeinflusst, die nötige kognitive Aufmerksamkeit für eine gesunde Wahl ist nur begrenzt möglich [7]. Der Konsum von Speisen und Getränken ist überhaupt ein emotionales Ereignis [8, 9], das sich bereits beim Einkauf der Lebensmittel [10] deutlich bemerkbar macht. Eine bewusst kognitiv-rationale Auseinandersetzung mit den Inhaltsangaben auf den Lebensmittel-verpackungen findet in der Regel nicht statt.

Ampelfarben wirken besonders gut auf das Einkaufsverhalten
Die Diskrepanz zwischen Informationsgehalt und Informationswahrnehmung durch Verbraucher muss deshalb durch eine entsprechend ausgestaltete Kennzeichnung überbrückt werden. Insbesondere bei hoher Treue zu ungesunden Marken/Produkten kann die Kennzeichnung Konflikte bewirken [11] und muss daher hinreichend auffällig und aussagekräftig sein. Es muss sowohl Aufmerksamkeit für die Informationen hergestellt werden als auch ein einfach zu erfassendes, intuitives Verständnis der Inhalte möglich sein [12].
Lebensmittelkennzeichnungen können dies auf zwei Arten tun: Sie können entweder Aufmerksamkeit auslösen und damit eine kognitiv-rationale Auseinandersetzung mit dem Produkt herbeiführen. Oder die Kennzeichnung fungiert als Nudge [13], belässt den Verbraucher in seinem Einkaufsmodus und „stupst“ ihn hin zu einer gesünderen Produktauswahl.
Eine informative Lebensmittelkennzeichnung kann in vielfacher Weise eine gesündere Produktauswahl der Verbraucher bewirken [14]. Als besonders effektiv hat sich die Kennzeichnung mittels Ampelfarben herausgestellt. Dabei werden Lebensmittel mit hohem Fett-, Salz- und Zuckeranteil mit „Rot“ und geringere Anteile mit „Gelb“ und „Grün“ gekennzeichnet [15]. In Studien hat sich gezeigt, dass Verbraucher dadurch relativ einfach Informationen über das Nährwertprofil von Produkten erhalten und diese auch in der Einkaufssituation wahrnehmen und berücksichtigen [16, 17]. Dies gilt auch bei einer Erweiterung um farbliche Zwischentöne, wie sie beispielsweise der französische Nutri-Score bietet [18]. Die einzige Alternative, die etwa gleich gut oder besser wirkt als eine Ampel sind Warnhinweise für hohen Salz-, Zucker- oder Fettgehalt mit Stoppschildern [19–21].

Ein neues Kennzeichnungssystem für Deutschland
Wegweiser Ernährung. Quelle: Max-Rubner-Institut
Wegweiser Ernährung. Quelle: Max-Rubner-Institut
Nutri-Score. Quelle: Footwatch
Nutri-Score. Quelle: Footwatch

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD wurde 2018 die Einführung einer „verständlichen und vergleichbaren Lebensmittelkennzeichnung“ in Deutschland beschlossen [22] Damit beauftragt ist das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Dieses gab zur Vorbereitung zunächst beim Max-Rubner-Institut (MRI) eine Studie in Auftrag, die 13 bestehende Nährwertkennzeichnungssysteme bewertete [23]. Dabei zeigten sich zwei Systeme als besonders günstig: Der Nutri-Score und das australische „Health Star Rating“- System. Letzteres ist allerdings nicht EU-konform und daher nicht ohne Weiteres in Deutschland einsetzbar.

Der Nutri-Score ist in Deutschland bereits im Einsatz: Fünf große Lebensmittelhersteller hatten ihn bis Mitte 2019 freiwillig eingeführt oder dies angekündigt. Das BMEL ließ dennoch vom Max-Rubner-Institut ein weiteres Label entwickeln. Dieser „Wegweiser Ernährung“ beruht auf dem Algorithmus des Nutri-Scores, ähnelt aber optisch dem einfarbigen Health Star Rating System (Abbildung 1) [24]. Zusätzlich werden die Gehalte an ungünstigen Inhaltsstoffen (z.B. Zucker, Fett, Salz) pro 100 Gramm angegeben, bei besonders geringem Gehalt wird das Feld dunkel eingefärbt.

Um die Haltung der Verbraucher zu diesem neuen System im Vergleich zum Nutri-Score zu erfassen, haben die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) und die Verbraucherorganisation foodwatch e.V. im Juli 2019 eine Meinungsumfrage in Auftrag gegeben. Als weitere Partner konnten die Deutsche Diabetes Gesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, die Deutsche Diabetes-Stiftung, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, die Deutsche Adipositas-Gesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin gewonnen werden. Mit der Umfrage wurde die forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen mbH (Berlin) beauftragt. Das Umfragedesign wurde in enger Abstimmung zwischen forsa, DANK und foodwatch entwickelt.

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