Leserbrief und Antwort der Autorinnen: "Beindruckendes Projekt": Zum Beitrag "Kinder erleben die Schlachtung eines Nutztieres" in Ernährungs Umschau 5/2025
- 31.07.2025
- Online PLUS
- Redaktion
- Lotte Rose
- Theres Rathmanner
- Martina Überall
- Friedrich Schöne
Dieses Projekt des österreichischen „Forschungsinstitutes für biologischen Landbau“ ist beeindruckend, wird doch die Grenzüberschreitung, die ein Töten von Tieren zur Gewinnung des Lebensmittels Fleisch unzweifelhaft darstellt, nicht nur thematisiert, sondern in das Alltagsleben in der Regel städtischer Familien hineingetragen. Die am Ende des Beitrages erläuterte pragmatische Sicht auf das Tier unter dem Aspekt der „anthropozentrischen Verdinglichung“ erscheint dem Schlachtvorgang angemessen, wobei Anthropomorphismus, besonders unter den Heerscharen der Heimtierhalter verbreitet („Hundi“ oder „ Katzi“ sind die wertvollsten Familienmitglieder!) nicht ausgeblendet wird.
Angebracht wäre in diesem Teil des Berichtes vielleicht eine kurze Zitierung aus dem (deutschen) Tierschutzgesetz gewesen: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen.“ [1] Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Schlachtung zur Fleischgewinnung oder Tierversuche in medizinischer sowie pharmazeutischer Forschung und Entwicklung zählen als „vernünftiger Grund“.
Nachfolgende Bemerkungen speisen sich aus lebenslangen Erlebnissen und eigenen Erfahrungen mit Nutztieren, eigeschlossen die Schlachtungen mit späterer Forschungs- und Lehrtätigkeit in diesem Feld. Im Zusammenhang mit der korrekten Schilderung des Betäubens und Tötens des Schweines und den notwendigen Begleitvorgängen wie Blut-Auffangen oder Entborsten beeindruckt die Präsenz der beteiligten 11 Familien mit den Psychologinnen – alle „Hinter dem Zaun“. Hier bleibt es jedem dieser indirekt Beteiligten selbst überlassen, ob zugeschaut wird, durch die Zaunlücken, oder ob man sich dem Anblick verweigert. Jedoch erscheint das Alter der Kinder im Bereich 7–10 Jahre recht niedrig: In Erinnerung an die eigene Kindheit auf einem Bauernhof mit Schwerpunkt Viehwirtschaft hielt die Mutter, Lehrerin an der Dorfschule und Kantorin, uns drei Kinder beim „Schlachtfest“, so hießen und heißen in Mitteldeutschland die in der Regel einmal jährlich erfolgenden Schweineschlachtungen, vom Akt des Tötens des Tieres strikt fern und zwar bis zum Alter von 11–12 Jahren. Klar durften wir Kinder dann bei der Zerlegung und dem Wurstmachen dazu kommen, auch um zu helfen, z. B. beim Zwiebeln schälen oder Speck würfeln etwa für die Blutwurst. Diese kindgerechten Aufgaben erzeugten das Gefühl gebraucht zu werden und erstickten Langeweile bereits im Keim. Zudem gab es genug zu kosten. Vor allem das Gehackte (in Thüringen Hackepeter, in Niedersachsen und NRW Mett, in Österreich Faschiertes) hatte uns es angetan auf dem Brot mit Zwiebeln. Zudem waren die gekochten Nierchen Kult bei den Kindern, weniger begehrt war das fette Wellfleisch (gekochter Bauch, bei den damaligen mit mindestens 200 kg verglichen zu heute doppelt so schweren sehr fetten Schweinen), das sich aber die schwer arbeitenden Erwachsenen mit viel Brot und Senf vorzüglich munden ließen. Nachteil der Behandlung der Familie auf dem Burgenlandhof als „gastronomische Einheit“ dürften die oben angedeuteten unterschiedlichen kulinarischen Präferenzen von Erwachsenen und Kindern sein. Während man sich, besonders in städtischen Familienhaushalten, auf ein Allen schmeckendes, jedoch begrenztes Magerfleisch- und Wurstspektrum einigt, z. B. Kotelett, Jagdwurst oder Schinken, verlangt die traditionell und auch heute unzweifelhaft nachhaltige Tail to Nose-Verwertung einige Überwindung bei vielleicht erstmaliger Offerte auf dem Teller. Schweinehirn, durch BSE zu Unrecht in Verruf geraten, ist nicht jedermanns Sache, besonders aber nicht die von Kindern.
An der Stelle der Hinweis zum verwendeten Begriff Kadaver (S. M299). Tote Tiere aus der Schlachtung so zu benenn ist zu undifferenziert. Kadaver meint zwar generell den Tierkörper nach dem Tod, dies aber leider in Richtung Verwesung, begrifflich danach auch die Hauptkomponente des Verwesungsgeruchs Cadaverin. Eines natürlichen Todes gestorbene Tiere sind in allen Kulturen aus dem Speiseplan ausgeschlossen. Nur geschlachtete gesunde Tiere dienen der Nahrungsgewinnung direkt als Frischfleisch oder in der Verarbeitung, meist zu Wurst. Das getötete, ausgeblutete, enthäutete/entborstete und ausgeweidete Tier ergibt den Schlachtkörper. Klar ist der Begriff sperrig, aber man kann umschreiben, z. B. Tierkörper in seinem verwertbaren Teil, auf keinen Fall jedoch mit dem Genusskiller und Ekelwort Kadaver.
Kritischer als der vom Frischebonus wegführende Begriff wiegt jedoch in dem Artikel das Überbetonen der Widersprüche Klein = Metzger gegenüber Groß = Schlacht- und Zerlege-Betrieb. Aus diesen Großbetrieben bezieht die Mehrheit der Fleischer (mitteldeutsch für Metzger) morgens an mindestens drei Arbeitstagen pro Woche Schweinehälften, -viertel oder entsprechend den Kundenwünschen spezielle Zuschnitte. Aber nicht nur die kleineren, sondern auch die größeren Fleischverarbeiter in Richtung Wurst verzichten auf die eigentliche Schlachtung, ebenfalls Folge der strengen und nur mit riesigem Aufwand erfüllbaren EU-Auflagen vor allem für Hygiene.
Eine weitere Wechselwirkung zwischen Handwerks- und Großbetrieben, in dem Projektbericht völlig ignoriert, ist der Austausch im Personalbestand. Zum einen gehen viele sehr gute Wurstmacher-Gesellen, die bei den Kleinen für eine Betriebsnachfolge „übrig“ sind in die Verarbeitung. Zum anderen finden auch wieder versierte Fachkräfte aus der Industrie ins Handwerk zurück. Als entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Kleinen und Großen in der Fleischbranche sind die technologischen Schritte bei der Hausschlachtung, im Handwerksbetrieb, so er denn die Schlachtstätte noch dabei hat, und den großindustriellen Schlacht- und Zerlegbetrieben die gleichen. Im Anschluss an meine Jenaer Vorlesungen wurden interessierten Studenten der Ernährungswissenschaften, die Mehrheit weiblich, Besichtigungen des Jenaer Schlachthofs angeboten, der bis in die 2000er Jahre hinein die Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung beinhaltete. Didaktisch war die Abfolge aber eine andere als bei Hausschlachtungen. Beginn in dem besagten Allround-Betrieb bei Wurst und Schinken mit Kühl- bzw. Reiferäumen, Räucherkammern, Konfektionierung. Über die Kühlräume für die Schlachthälften und -zuschnitte ging es dann in die Halle, wo über Deckenaufhängung jeweils am Haken sich die Schlachthälften bewegten mit zwischenzeitlicher Wägung und Qualitätseinstufung. Letzte Etappe war dann der Raum mit Entborstungsmaschine, Brühtrögen und den Betäubungs- und Tötebuchten. Zuvor stand aber immer die Frage an die Studenten, wer dorthin mitgehen wollte, wobei das Drittel, welches von diesem vorletzten Besichtigungsteil Abstand nahm sich zwischenzeitlich im Arbeitszimmer der Veterinärin aufhielt. Es ist also durchaus legitim und mutmaßlich ein Akt des Selbstschutzes, während des gesamten Lebens sich dem Anblick des Tötens von Tieren zu verweigern und das auch als gestandener Mischköstler.
Friedrich Schöne, Prof. Dr. agr. habil.
Hermann-Löns-Str. 43E
D 07745 Jena
friedrich.schoene@uni-jena.de
Quellen:
- https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/__1.html (last accessed on 18 June 2025)
- Rose L, Überall M, Rathmanner T: Kinder erleben die Schlachtung eines Nutztieres: Kritische Reflexionen zu einem Projekt. Ernährungs Umschau 2025; 72(5): M294 302. DOI: 10.4455/eu.2025.021
Antwort der Autorinnen
Der Leserbrief von Friedrich Schöne bestätigt uns einmal mehr, dass es noch viel Diskursbedarf gibt zur Frage, ob und wie eine omnivore Gesellschaft ihren Mitgliedern enttabuisierende Erfahrungsräume zur Nutztiertötung zugänglich machen soll und kann, welcher Rahmen dafür gut ist und ob dies auch Kinder einschließen soll. Unsere Projektdarstellung hat diese Frage in Angriff genommen, aber keineswegs erschöpfend beantwortet.
So zeigt der Leserbrief, wo Weiterdenken nötig ist. Dies gilt für die Frage von Altersgrenzen für entsprechende Angebote, was viel aussagt über unsere heutigen Vorstellungen vom Kind-sein. Dies gilt aber auch für die Frage des ‚richtigen‘ Schlachtorts. Anregend ist hier zweifellos die Schilderung des Kollegen von seinen Exkursionen mit Studierenden zu einem industriellen Schlachthof. Dass unser eigenes Projekt im Rahmen einer ‚imitierten‘ bäuerliche Hausschlachtung stattfand, fußte auf der Idee, dass es sich hierbei um einen Kulturraum handelt, der schon immer Kinder integriert hat, wie ja auch der Schreiber biografisch bestätigt.
Unabhängig davon, dass das entsprechende Personal seine Schlachtarbeit an beiden Orten machen kann, sind Schlachthof und Hausschlachtung doch zwei fundamental unterschiedlich gerahmte Sozialräume, was uns für entsprechende Angebotsentwicklungen weiterhin relevant erscheint – und eigentlich auch die Frage aufwirft, wie denn die Menschen (überwiegend Männer) ihre Arbeit in den Schlachthöfen gut bewältigen können.
Prof. Dr. Lotte Rose
Frankfurt University of Applied Science
rose@fb-fra-uas.de
Dr. Theres Rathmanner
Schule des essens!
HS-Prof.in Mag. Martina Überall, Ph. D.
Pädagogische Hochschule Tirol, Insbruck
martina.ueberall@ph-tirol.ac.at