Viele bekannte Statements auf den Pressekonferenzen der Internationalen Grüne Woche 2020
Viele bekannte Statements auf den Pressekonferenzen der Internationalen Grüne Woche 2020. Foto: IGW2020

Zeitenwende oder Zeitschleife?: Auftaktveranstaltungen der 85. Internationalen Grünen Woche

Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Tierhaltung: Jeder stimmt sein Instrument, aber keiner will zusammen spielen. So lässt sich der Fach-Presseauftakt am 15. + 16.01.2020 der IGW in Berlin zusammenfassen. Ein kommentierender Bericht von Dr. Karin Bergmann, München.

Appelle zur Wertschätzung für die Lebensmittel sind allerorts zu hören. Allerdings kommt hier nicht zum Tragen, dass Verbraucher an der Kasse keine Einzelstimmen belohnen, sondern ein orchestrales Zusammenwirken vom Acker bis zum Teller. Im Großen und Ganzen sind die Einzelinitiativen innerhalb der Wertschöpfungskette zu langsam, wenn auch im Kleinen nicht ohne Erfolg.
Joachim Ruckwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, spricht für seine Klientel. „Unsicherheiten verunsichern uns“, sagt er auf der Eröffnungs-Pressekonferenz der weltweit größten Landwirtschafts- und Ernährungsmesse. Er präsentiert Daten: den Einkommensrückgang der Bauern von 18 % im Vergleich zum Wirtschaftsjahr zuvor (Juni 2018; Ende Juni 2019) und eine zurückgegangene Investitionsbereitschaft, die ohnehin nur noch bei einem Drittel der Bauern vorhanden ist.
Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie (BVE), schaut zufrieden auf ein um 2,2 % gestiegenes Jahresergebnis der Ernährungsindustrie – trotz eindeutiger Anzeichen für die Eintrübung der wirtschaftlichen Zuwächse. Er findet, dass „die Ernährungsindustrie mit großen Schritten den notwendigen Weg hin zu mehr Generationen-Verantwortung geht“. Große Einigkeit herrscht unter den ideellen Trägern der IGW:

  • Politik und Verbraucher müssen handeln.
  • Das europäische Agrarbudget muss stabil bleiben.
  • Die neue Agrarpolitik muss grüner werden.
  • Die zu niedrige Wertschätzung für Lebensmittel soll nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch zu Gunsten der Ernährungsindustrie erhöht werden.
  • Der europäische New Green Deal soll auch für Deutschland das Richtige bewirken.

Hatten der Hitzesommer 2018 und Dürre-Ernte 2019 die Zeiten in Deutschland nicht längst gewendet? Dreht sich das Establishment in Deutschlands Land- und Lebensmittelwirtschaft im Kreis?
Auch der Bund der Ökologischen Landwirtschaft setzt auch auf aktivere Regierungspolitik.Präsident Dr. Felix Prinz zu Löwenstein sieht zu wenig staatliche Steuerungsinstrumente, die einen Systemwechsel im Umgang mit natürlichen Ressourcen, regionalen Wertschöpfungsketten, dezentralen Strukturen fördern: Hier wird zumindest deutlich, wohin man sich wendet. Diese Pressekonferenz soll zeigen, wie die Transformation ökologisch gelingen kann.


Zu diesem Themenkomplex führte die Ernährungs Umschau ein Interview mit Dr. Felix Prinz zu Löwenstein.


Nun noch zur agrarjournalistischen Journalisten-Fragestunde mit Bundesministerin Julia Klöckner: „Ich würde auch irre werden, wenn ich Landwirt wäre“, sagt sie mit Bezug auf die neue Messstellen-überprüfung der Nitratwert-Messstellen für das europäische Meldeverfahren. Das ist aber kein Argument, denn Deutschland hat sich an den gesetzlichen Rahmen zu halten. Bei den neuen Schwerpunkten der Europäischen Kommission passen offensichtlich die Anforderungen und Budgets eben nicht zusammen. Auch Julia Klöckner fordert: Verbraucher müssen sich stärker am Preisaufschlags-Mix beteiligen.

Ob am Ende eine stimmige Musik aus solchen Einzelstimmen wird, liegt am Dirigenten. Die Politik hat längst die Chance, Dirigent zu sein. Soll die Zeitenwende in etwas Positives münden, muss Politik jetzt wissenschaftsbasiert dirigieren. In diesem Jahr sind insgesamt vier Bundesministerien auf der IGW vertreten: Ernährung/Landwirtschaft, Bildung/Forschung, Umwelt/Naturschutz; Wirtschaftliche Zusammenarbeit/Entwicklung. Genau die Ressorts, die künftig Lebensmittelwertschätzung und Ernährungsbildung unter neuen gesellschaftspolitischen Prioritäten strategisch erzeugen sollten. Interessierte und befähigte Verbraucher handeln in der Zwischenzeit. Denn sie wollen aus der Zeitschleife heraus und einige von ihnen zahlen sogar für Transformation. Es ist Zeitenwende: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft beginnt am 01.07.2020!


Für die Ernährungs Umschau kommentierte Dr. oec. troph. Karin Bergmann, München

Selektiv wahrgenommen: Good News von der IGW
Aktuell 622 253 Beschäftigte der Ernährungsindustrie leben von ihrer Arbeit • Deutschlands Lebensmittel sind Botschafter weltweit, wie die Exportquote von 33 % zeigt • Deutschlands Landwirte haben 235 000 km neue Blühstreifen für Insekten geschaffen  • Fast 110 000 Hektar mehr als im Vorjahr werden heute ökologisch bewirtschaftet  • Digitale Experimentierfelder in der Landwirtschaft helfen, Pflanzenschutz und Tierhaltung passgenauer einzusetzen  • Unternehmen und Handelsmarken reformulieren ihre Produkte  • Sichtbare Praxis-Beispiele für Reduktion von Lebensmittelverderb und klima-freundlichere Verpackungen  • Förderung lokaler Wertschöpfungsketten  • Fridays for Future ist erstmals Aussteller auf der IGW


Quellen:  Pressemeldungen und Eröffnungspressekonferenz DBV, BÖLN, BVE, Messe Berlin und Ausstellungskatalog zur IGW, Ministerin Klöckner auf der Eröffnungspressekonferenz

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