Editorial 03/02: Grüne Gentechnik im Aufwind?

Prof. Dr. Helmut
ErbersdoblerIm Jahre 1994 veranstaltete die DGE eine Arbeitstagung zum Thema "Gentechnik und Ernährung", deren Inhalte ein Jahr später veröffentlicht wurden. Das Vorwort zu diesem Buch und die meisten Kapitel sind immer noch gültig. Dies zeigt den Stillstand auf dem Gebiet der grünen Gentechnik in den letzten Jahren in Deutschland – ja in Europa –, während sich weltweit entgegen den Erwartungen der Anbau transgener Sorten im Jahr 2001 weiter auf ca. 50 Mio. Hektar erhöht hat. Der "gentechnische Anteil" bei Soja beträgt nun 68 %.

Seit Ende letzten Jahres kommt allerdings Bewegung in die Diskussion. Die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, hat einen "Diskurs zur grünen Gentechnik" ins Leben gerufen, der sich in zahlreichen Veranstaltungen bis September diesen Jahres intensiv Fragen der Gentechnik widmen soll. Im Vordergrund stehen die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von gentechnisch veränderten Organismen , gemäß den Worten von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der ANUGA am 13.10.2001: "Wer sich ohne gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittelmittel ernähren will, muss dies auch tun können. Der Verbraucher muss das Recht auf freie Wahl haben."

Über Schwellenwerte wird recht vehement gestritten. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat sich aus wissenschaftlichen und pragmatischen Gründen für einen Schwellenwert von 1 % bei unvermeidbaren Verunreinigungen mit GVO ausgesprochen (s. Ernährungs-Umschau 2/2002, S. 56). Die DGE hat sich dem angeschlossen. Gegner der Gentechnik verlangen eine Nulltoleranz, was angesichts der derzeitigen Anbauflächen utopisch erscheint.

Vor einigen Jahren schrieb das damalige Bundesforschungsministerium eine Leitprojektinitiative "Ernährung – moderne Verfahren der Lebensmittelerzeugung" mit einem Fördervolumen von bis zu 50 Mio. € aus. Von 47 eingereichten Projekten wurden drei ausgewählt:

  • Entwicklung von Weizen, Roggen und Gerste ohne Zöliakietoxizität: Ungefähr eine Mio. Menschen in Deutschland leidet an Zöliakie, einer Unverträglichkeit gegen das Eiweiß Gluten. Sie müssen bisher ein Leben lang auf "normales" Brot verzichten. Diesen Menschen könnte mit transgenen Getreidesorten geholfen werden.
  • Verbundprojekt Carotinoide: Ziel ist die Modifizierung und Anreicherung von gesundheitlich relevanten Carotinoiden und Steigerung von deren Stabilität und Bioverfügbarkeit in Lebensmitteln.
  • NAPUS 2000 – Gesunde Lebensmittel aus transgener Rapssaat: Das Projekt dient u. a. der weiteren Optimierung des Fettsäurenspektrums von Rapsöl, insbesondere dem Einbau von langkettigen n-3-Fettsäuren ("Lachs im Raps"), der Anreicherung weiterer positiv wirksamer und Elimination abträglicher Inhaltsstoffe im Rapskorn.

Nach einjähriger Laufzeit der Leitprojekte wurden Ende 2001 erste Ergebnisse diskutiert. Es sieht so aus, als seien in der "pipeline" tatsächlich neue "gesunde" Produkte, die dem Verbraucher nutzen werden. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Übersicht von Gerhard Flachowsky und Karin Aulrich (S. 84 ff.) verwiesen.

In den USA haben die Amish-People aus Pennsylvania, allgemein bekannt für ihre archaische Zivilisation und Landwirtschaft, erstmals versuchsweise transgene Kartoffelsorten angebaut. Sie wollen sich selbst überzeugen, ob sie dadurch Vorteile haben oder nicht. Allem Anschein nach wollen sie den Anbau fortsetzen. Auch hierzulande sollen sich schon Öko-Landwirte für transgene Kartoffelsorten interessieren, auch wenn diese bisher nicht zugelassen sind. Grund dafür ist der Verursacher der Kartoffelfäule (Phytophtora), der im alternativen Landbau bisher immer mit Kupferanwendungen bekämpft wurde. Wegen der damit verbundenen ökologischen und gesundheitlichen Probleme soll deren Anwendung vermutlich noch in diesem Jahr eingeschränkt werden. (Für weitere Informationen zu diesen Fragen vgl. www.internutrition.ch/in-news/mediainfo/index.html.)

Entscheidend aber ist die Einstellung der Verbraucher zur grünen Gentechnik. Sie ist und bleibt die große Unbekannte. Entsprechend befragt, sind die Verbraucher immer noch eindeutig gegen den Einsatz der Gentechnik im Ernährungsbereich. Formuliert man die Frage um, würde allerdings eine knappe Mehrheit preiswerte transgene Lebensmitteln mit Vorteilen in geschmacklicher, zubereitungstechnischer oder gesundheitlicher Hinsicht versuchen. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, sachkompetent aufzuklären und genügend Produkte mit entsprechendem Zusatznutzen für die Verbraucher zur Verfügung zu stellen. Wir sind auf gutem Wege dahin und damit doch schon etwas weiter als 1994.

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