Editorial 10/02: Koexistenz für Erzeuger und Wahlfreiheit für Verbraucher?

Helmut F. Erbersdobler, Kiel

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler

Mit der Übergabe des Ergebnisberichts ging am 3. September der vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft seit Dezember 2001 durchgeführte Diskurs Grüne Gentechnik zu Ende. Sein Ziel war die Auseinandersetzung mit den wissenschafts- und technologiepolitischen Anschauungen auf diesem Gebiet.

Dazu diskutierten 30 gesellschaftliche Gruppen – Wissenschaftler, Experten der Land- und Ernährungswirtschaft, des Handels, der Kirchen, der Verbraucher- und Umweltschutzverbände, der Gewerkschaften – und Vertreter von fünf Bundesministerien über Möglichkeiten, Bedingungen, Nutzen und Gefahren sowie die Konsequenzen der Anwendung der Grünen Gentechnik. Ein Lenkungsausschuss, dem leider keine Wissenschaftler angehörten , steuerte den Diskurs. Die Ergebnisse sind im Internet unter www.transgen.de/diskurs zugänglich.

Nach einer Auftaktveranstaltung, einer Anhörung zur Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung und einer Fachtagung wurden fünf Diskursrunden zu folgenden Themen durchgeführt: Erhalt der Biodiversität (Artenvielfalt); Innovationspotenzial und Zukunftsaussichten der Grünen Gentechnik; Nutzen und Risiken für Verbraucher und Produzenten; Voraussetzungen, Chancen und Konsequenzen eines Verzichtes auf die Grüne Gentechnik; Information, Beteiligung der Öffentlichkeit und Wahlfreiheit.

Zusammengefasst ergab die Debatte:

  • Nach wie vor besteht ein grundsätzlicher Dissens über die Anwendung und das Nutzenpotenzial der Grünen Gentechnik. Dies wurde in den abschließenden Statements der beteiligten Gruppen nochmals deutlich.
  • Auch über das richtige methodische Herangehen an die Erfassung und Bewertung von Risiken besteht Dissens. Einigkeit besteht aber über den Schutz der Biodiversität als Ziel und Kriterium für Risikobewertungen.
  • Alle Gruppen sehen die Notwendigkeit, für Produzenten und für Verbraucher Wahlfreiheit zwischen gentechnikfreier oder gentechnischer Herstellungsweise und deren Produkten zu gewährleisten.
  • Ebenfalls halten es alle für erforderlich, die Sicherheit für die Verbraucher durch klare internationale Standards und Regelungen zu gewährleisten.
  • Zweifel herrschen dagegen, ob die "Koexistenz" (von konventionellem Anbau und dem gentechnisch veränderter Pflanzen) in der Erzeugung für alle Beteiligten erhalten werden kann. Die einen glauben, eine erfolgreiche Züchtung und Produktion seien in Zukunft ohne Grüne Gentechnik, insbesondere im internationalen Vergleich, nicht mehr möglich, die anderen fürchten von der übermächtigen Entwicklung überrollt oder schleichend "kontaminiert" zu werden. Unterstützt wird die eine Seite von der Wissenschaft, die große Vorteile und die Beherrschbarkeit der Risiken ins Feld führt, und die andere Seite von technologiekritisch eingestellten Gruppierungen. Folgerichtig wurden daher auch praktikable Schwellenwerte für Lebensmittel und Saatgut bei zufälliger Verunreinigung mit gentechnisch verändertem Material intensiv diskutiert.

Die Reaktionen auf den Diskurs reichen von Enttäuschung darüber, dass keine weitergehende Annäherung erfolgt ist, bis zu einer gewissen Zufriedenheit über die klaren Erkenntnisse zur Situation in Deutschland und die kleinen Schritte der Annäherung. Letztendlich hängt die Zukunft der Grünen Gentechnik wesentlich von der Akzeptanz in der Bevölkerung ab, die bei einem Großteil der Verbraucher auch durch Desinteresse und Gewöhnung an das Unvermeidliche entstehen kann.

Langfristig verlässlicher aber wäre die Einsicht, dass die Grüne Gentechnik sinnvoll ist. Dazu müssen der Nutzen für den Einzelnen und die Allgemeinheit (Dritte Welt), die Wahlfreiheit durch Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit und nicht zuletzt die Sicherheit der Produkte gewährleistet sein.

Eine Koexistenz von Produktion und Vermarktung sollte darüber hinaus nicht zu einer wesentlichen Verteuerung der Lebensmittel führen. Da zukünftig möglicherweise drei Lebensmittelsegmente – aus biologischem Anbau, gentechnikfrei und gentechnisch verändert – angeboten werden, ist dies nicht unrealistisch. Es bleibt zu hoffen, dass der nun endlich in Gang gekommene Diskurs (s. Editorial in der März-Ausgabe) nach der Bundestagswahl fortgeführt wird.

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