Rezensionen und Neuerscheinungen 03/02

Europäische Esskultur

Gunther Hirschfelder hat sich viel vorgenommen: "Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute". Einzig die Beschränkung auf Europa soll ihm sein Vorhaben erleichtern. Bislang hat Hirschfelder vorwiegend rheinische Regionalstudien zum Alkoholkonsum "an der Schwelle zum Industriezeitalter" verfasst. Für sein neues Buchprojekt hat er sich auf das Terrain der Ernährungsgeschichte begeben, über welches in den letzten Jahren einige sehr ambitionierte Bücher erschienen sind, insbesondere die Arbeiten von Jean-Louis Flandrin/Massimo Montanari.

Nichts spricht dagegen, eine weitere epochenübergreifende "Ernährungsgeschichte" vorzulegen; schließlich handelt es sich um ein außergewöhnlich reichhaltiges Thema. Allerdings muss sich jedes neue Werk an den bereits vorliegenden messen lassen.

Hirschfelder beginnt mit einer saloppen Einführung in die Kultur des Essens, in der er seine Vorgehensweise knapp erläutert: Er möchte mit Hilfe des "weit gefassten Kulturbegriffs" der Volkskunde die Jahrtausende der europäischen Esskulturen auf neue Art darlegen. Bei dieser Ankündigung bleibt es jedoch. Im weiteren Verlauf der Buchs sucht man vergeblich nach einer systematischen Klammer oder die einzelnen Kapitel begründenden Fragestellungen. Geschwind marschiert Hirschfelder durch die Jahrhunderte und springt dabei von einem Detail zum anderen, von einer grundsätzlichen Behauptung zu einer völlig anderen. Das Resultat: Geschichte zerfällt in "Geschichtchen" und diese noch weiter in Anekdötchen. Großen Entwicklungslinien wie der Intensivierung der Landwirtschaft oder der Industrialisierung der Lebensmittelproduktion wird ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt wie kleinsten Veränderungen im Kochtopf.

So erfährt man beispielsweise in ganzen drei Absätzen im letzten Kapitel, dass am 1.1.1960 das Atomgesetz in Kraft trat, eine "beinahe hemmungslose Fortschrittsgläubigkeit" herrschte, Kühlschrank und Gefriertruhe im Vormarsch waren, viele traditionelle Muster altmodisch wurden, Koteletts und Schnitzel geräucherte Würste und Wurstkonserven verdrängten, man mehr frische Lebensmittel aß, Fertig-Tiefkühlkost nun auch in Deutschland Erfolg hatte, der Geschmack der Fertiggerichte sich veränderte und vieles, vieles mehr. Hatte man vorher eine einigermaßen geordnete Erinnerung an die bundesdeutsche Ernährungsgeschichte, nach der Lektüre des entsprechenden Kapitels ist nicht mehr als ein Blitzlichtgewitter übrig.

Wer sich systematisch darüber informieren möchte, wie die europäischen Esskulturen entstanden, was ihren stetigen Wandel bedingte, dem wird das Buch wenig helfen, wer jedoch Unterhaltungsstoff für Tischgespräche sucht, um die Mahlzeit mit Erzählungen zu würzen, der wird in dem Buch fündig werden. EU03/02

Eva Barlösius

Hirschfelder, G.: Europäische Esskultur, Frankfurt/New York 2001, 328 S., geb., € 25,50.

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