Editorial 06/02: BSE - Ende eines Schreckens?

Helmut Erbersdobler, Kiel

Prof. Dr. Helmut Erbersdobler

Essen Sie noch Rindfleisch? Essen Sie überhaupt noch Fleisch? Das sind die Fragen, die einem im letzten Jahr als Ernährungswissenschaftler und Tierarzt am häufigsten gestellt wurden. In der Tat hatte die Verunsicherung, ja Verängstigung weite Teile der Bevölkerung erfasst und selbst Experten gerieten in Panik.

Inzwischen ist der Alltag wieder eingekehrt und die gut 181 BSE-Fälle in Deutschland werden fast nicht mehr zur Kenntnis genommen. In wenigen Jahren werden die Rinderbestände so "ausgealtert" sein, dass kaum noch Tiere aus der infektionsgefährdeten Zeit leben. Wenn nichts Gravierendes mehr geschieht, z. B. infektiöse Prionen in Milch nachgewiesen werden oder sogar ein Fall der neuen Creutzfeld-Jacob-Krankheit in Deutschland auftritt (s. Übersicht auf S. 216 ff.), dann ist das Thema BSE in der Öffentlichkeit wohl "durch".

Was haben wir daraus gelernt? Ich fürchte nichts. BSE ist nicht die erste und einzige Zoonose, also vom Tier auf den Menschen übergehende Erkrankung, die wir unseren Haus- und Nutztieren zu verdanken haben. Die Masern, die Pocken und die Grippe, um nur einige bekannte Krankheiten zu nennen, waren und sind Seuchen, die ihren Ursprung bei den Haustieren hatten. Und BSE wird nicht die letzte Zoonose sein, die uns getroffen hat. Insbesondere Viren sind wandelbar und flexibel und können gerade in der heutigen Zeit, in der Bakterien durch Antibiotika weitgehend eingedämmt werden, aus einer Nische heraus in eine beherrschende Position gelangen. Die Globalisierung, auch im Handel mit Tieren und tierischen Produkten, trägt nicht unerheblich zur potenziellen Gefährdung bei.

Was wäre zu tun? Erforderlich sind weltweite Strategien, damit insbesondere der Handel mit Lebensmitteln tierischer Herkunft besser geregelt und kontrolliert wird. Die Epidemiologie der verschiedenen Tiererkrankungen muss intensiver erforscht werden. Dies betrifft auch die heikle Frage der Gefahren, die von Tier- und/oder Fleischmehlen (insbesondere aus den inzwischen ja kontrollierten Schlachtungen) ausgehen. Es ist einfach unsinnig und auch eine große Verschwendung, wenn gut ein Drittel oder fast die Hälfte eines Nutztieres verworfen wird. Dieser Anteil ist nicht für den menschlichen Verzehr geeignet und muss anderweitig, ob als Futter für andere Tiere, als Biodünger oder als Brennstoff, verwendet werden.

Jeder Einsatzbereich hat Vor- und Nachteile, jeder benötigt aber entsprechende Strategien zur kontrollierten und gefahrlosen Nutzung (oder Beseitigung). Reißerische Schlagworte wie Tierkannibalismus usw. tragen wenig zur sinnvollen Lösung des Problems bei, und sie sind auch unsinnig. Wenn Nutztiere keine Fleischmehle verzehren dürfen, müssen wir Menschen konsequenterweise auch Vegetarier werden, denn zur Gattung der Säugetiere gehören wir alle. Allerdings ist der Verzehr von Fleisch oder Körperteilen der eigenen Art– wenn auch bei einigen Spezies durchaus nicht unüblich – problematisch, da es hier tatsächlich zur Übertragung von Krankheiten kommen kann.

Wie steht es aber nun mit dem Verzehr von Rindfleisch? Sicherlich ist die Gefahr, an einem verschluckten Knochen zu ersticken, wesentlich größer, als die, sich mit dem BSE-Erreger zu infizieren. Aber es gibt immer noch warnende Stimmen, die Inkubationszeit für die vCJK könne, insbesondere bei einer geringen Prionendosis, bis zu 40 Jahre betragen. Je länger diese ist, desto größer ist die Gefahr, dass "schwach Infizierte" später doch noch erkranken.

Da man weiterhin nicht weiß, wie viele erkrankte Tiere in Deutschland vor den Kontrollen in die Nahrungskette gelangten (man spricht von bis zu 100), lassen sich die erwartbaren Fälle an vCJK nur schwer voraussagen: Experten rechnen höchstens mit einigen wenigen. Dagegen wird es in den nächsten 40 Jahren sicher einige tausend spontane, nicht BSE-bedingte CJK-Fälle geben. Die Europäische Kommission nimmt die BSE-Problematik aber immer noch sehr ernst, wie die zahlreichen Stellungnahmen hierzu zeigen (s. S. 240 und die dort angegebene Internetadresse).

Letztlich ist die Risikoabwägung bezüglich des Rindfleischverzehrs eine Frage der individuellen Besorgtheit für sich und andere. Zwar ist das Risiko sehr gering, wer aber besonders ängstlich ist, kann oder sollte noch so lange auf Rindfleisch verzichten, bis die Erkrankungsrate an BSE und damit das Risiko einer Infektion wirklich praktisch auf Null gesunken sind.

 

Das könnte Sie interessieren
Sternchensuppe weiter
Die Rolle der Ernährungstherapie in der Behandlung von Essstörungen weiter
30 Jahre Diätassistenten-Gesetz: VDD fordert „Novellierung jetzt!“ weiter
Verbände fordern verstärkte Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen zur Steigerung der... weiter
61. Wissenschaftlicher Kongress der DGE weiter
Pflanzliche Speisefette und -öle weiter