Alimentum ultimum 11/02 (Das letzte Gericht)

Johannes

Allzeit sicher sei gar nichts. Das habe ihr kürzlich ein selbstgefällig-fossiler Ernährungsexperte zugestanden, als sie ihm die ungerechtfertigte Schmähung des Frühstückseies unter die Nase gerieben habe, lässt mich meine Berliner Cousine Elvira wissen. Sie habe zwar Lezithin schon immer als Nervennahrung geschätzt, sagt sie, aber dass es dieses böse Cholesterin im Hühnerei neutralisiere, das hätten doch wenigstens weich gespülte Vegetarier und geschäftstüchtige Verkäufer von Bioeiern längst herausfinden müssen.

Ähnlich spät und überraschend sei die Frohbotschaft aus den USA gekommen, dass Zucker nicht länger lebensgefährlich sei. Zucker, ach was: weißer, brauner, roher, Kandis-, Frucht- und Traubenzucker, dazu Sirupe, egal woraus und wie hergestellt, nu bisse platt, was? 25 % der Nahrungsenergie könnten ruhig aus Zucker stammen, heiße es jetzt, das wären für sie glatt hundertfuffzig Gramm Zucker am Tag! Süßer könnten die Glocken im Advent und zu Weihnachten bei Gott nicht klingen und die auf Wirtschaftswachstum und Kauflust so scharfen politischen Hoffnungsträger glücklich machen, kucke nich so dämlich.

Mit Weinbrandbohnen und Eierlikör könne sie ihren Erwin vielleicht sogar wieder vom Genuss "medizinisch reinen Alkohols" abbringen, den er, auf eine TV-Beilage ihrer Zeitung pochend, vorschütze, um sich der einschläfernden Wirkung von Kloster-Melisse zu versichern. Medizinisch reinen Alkohol für ein Mittel zur Desinfektion und Dekubitusprophylaxe zu halten, sei wohl töricht oder?

Zur Überzeugungskraft und Zielgruppenauswahl von Werbetexten will ich mich nicht äußern, ich bin doch nicht blöd. Rundherum sehe ich schließlich, wie die kognitive Steuerung des Ernährungsverhaltens ab- und die soziokulturelle zunimmt. Sage und schreibe folgt selbst ein Freund von mir dem Rat eines anderen Wohlmeinenden, vor dem Frühstück zu dessen verträglicher Aufnahme erst die Magenwand mit Tomatensaft zu verschleimen und tags darauf dank eingerührter Kleie zugleich Anspruch auf einen flutschenden Stuhlgang zu haben.

Da frage ich mich doch, warum ich meine Kindheitsempfindungen weiterhin kognitiv abkoppeln und nicht hin und wieder beispielsweise jenen köstlichen Trunk zu mir nehmen soll, mit dem mich meine Großmutter zu verwöhnen pflegte: Ei, in Rotwein gequirlt und leicht gesüßt. Hat da jemand ei, ei, ei gesagt, Salmonellensäufer oder in dulci jubilo? EU11/02

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