Editorial 11/03: Back to the roots?

Prof. Dr. Helmut ErbersdoblerHelmut Erbersdobler, Kiel

Wir sollen das essen, wonach unsere Gene verlangen, und das wiederum wurde in der Vorsteinzeit festgelegt. Das ist die Botschaft verschiedener Wissenschaftler, wie der Aufsatz zur Steinzeitdiät auf Seite 420 ff. zeigt. Man sollte dabei allerdings bedenken, dass unsere Vorfahren nur 150 bis 160 cm groß und dementsprechend leicht waren. Da sie den ganzen Tag für den Nahrungserwerb aktiv sein mussten, war ihr Energieverbrauch sehr hoch. Sie waren somit Schwerstarbeiter! Außerdem wurden die Menschen in der Steinzeit nicht alt: Sie starben zumeist kurz nach dem Erwachsenwerden der nächsten Generation, von älteren Frauen in der Gruppe vielleicht abgesehen.

Nun hatten Frauen jenseits des gebärfähigen Alters als Erfahrungsträgerinnen und für die Aufzucht der Enkel durchaus ihre Berechtigung. Aber wie verhielt es sich mit den älteren Männern? Ist die Anfälligkeit des männlichen Geschlechts für einen früheren Tod vielleicht während der Evolution entstanden, weil Männer nach Erfüllung der Zeugungsaufgabe in der Gruppe nicht mehr gebraucht wurden?

Passt also die Steinzeiternährung in unsere heutige Zeit – schließlich wollen wir alle länger leben als die Menschen damals? Eine Ernährung für das Alter, mit spezieller Zielrichtung auf Prävention von Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose und Gicht war der Steinzeitbevölkerung fremd, von Fragen der Ökologie ganz zu schweigen. Und hat die Entdeckung des Feuers – und damit der Erhitzung von Lebensmitteln – unsere Gene noch mitgeprägt oder gehört dies schon zur "verhaltenstradierten" Evolution?

Trotzdem ist es wertvoll, einmal über die Beziehung zwischen der "Steinzeiternährung" und derzeit diskutierten Ernährungsformen, wie sie etwa Walter Willett mit seiner "neuen" Ernährungspyramide propagiert, nachzudenken. Zur Willetschen Pyramide wurde schon in der April-Ausgabe der Ernährungs-Umschau Stellung bezogen. Sie ist ein interessanter Vorschlag, dem sich allerdings noch keine der führenden Institutionen für die Erstellung von Referenzwerten (Institute of Medicine of the National Academies, WHO) angeschlossen hat. Man mag das bedauern, sollte aber bedenken, dass Postulate aus einzelnen, selbst großen Studien nicht a priori gesichert sind.

Das hat uns die Kontroverse um die präventive Wirkung von Ballaststoffen im Hinblick auf den Dickdarmkrebs gelehrt. Denn auch hier bestehen Widersprüche zwischen "bedeutenden" Studien. Dies sollte uns mahnen, nicht sofort jede neue wissenschaftliche Hypothese jubelnd zu übernehmen. Bleiben wir auf dem Boden der Tatsachen, und warten wir ab, zumal wir sowieso eine mäßige Energiezufuhr im Auge behalten müssen und eine Nahrung mit 30 Energieprozent Protein, wie aus der Steinzeitdiät heraus postuliert, können wir uns ohnedies weltweit nicht mehr leisten.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine schöne Vorweihnachtszeit. Achten Sie auf die Fettzufuhr und durchaus auch auf eine moderate glykämische Belastung. Dann machen Sie nichts falsch.

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