Editorial 04/07: Jo Jo

Prof.Dr.Helmut Erbersdobler

Kaum ein Beratungsgespräch für Übergewichtige, in dem nicht eindringlich vor dem Jo-Jo-Effekt gewarnt wird . Die Begründung für das Auf und Ab des Körpergewichts leuchtet auch jedem der Betroffenen schnell ein: Die Verluste an Körperprotein während der Diät und eine Anreicherung an Fettgewebe danach bei der erneuten Gewichtszunahme.

Aber stimmt das bedrohliche Szenario wirklich? Grundlage des Effekts ist die von unseren Ahnen ererbte Veranlagung, in Zeiten des Überflusses (z. B. im Spätsommer und im Herbst) Fettdepots anzulegen, um in Notzeiten (z.B. im Winter) davon leben zu können. Die Richtigkeit dieser Vorstellung belegen viele prähistorische und historische Funde: So wurde bei der 1952 in Windeby nahe Eckernförde gefundenen Moorleiche nachgewiesen, dass das Mädchen in ihrem 14-jährigen Leben 11-mal Hunger und Wachstumsverzögerung erlitten hatte, vermutlich jeweils im Winter.

Bei Frauen galten schon in prähistorischer Zeit Fettpolster als Garantie für Fruchtbarkeit, d. h. für die Sicherheit, Schwangerschaft und Laktation durchzustehen. Die Venus von Willendorf (Bild) ist ein drastisches Beispiel dafür. Ist also der Jo-Jo-Effekt ein physiologischer Vorgang und gar nicht so schädlich, wie immer dargestellt?

Bevor wir dies eilig mit ja beantworten, müssen wir folgendes berücksichtigen: Die Menschen in früheren Epochen waren sowohl während der Fett-Einlagerzeit mit reichlichem Essen als auch in den kargen Wintermonaten körperlich wesentlich aktiver als die Menschen in der Wohlstandsgesellschaft. Ungünstigere Wohnbedingungen und Kleidung verursachten einen deutlich höheren Energiebedarf, die körperlich anstrengende Nahrungsbeschaffung und -zubereitung nahmen den größten Teil der zur Verfügung stehenden Zeit ein.

Eine ausreichende sportliche Betätigung, die der früher alltäglichen körperlichen Aktivität gleicht, hilft während einer Diät ja auch nachweislich, den Proteinverlust zu begrenzen und verbessert den erneuten Proteinansatz. Zumindest trifft dies für die erste Lebenshälfte zu. In der zweiten Lebenshälfte fällt der Muskelaufbau wesentlich schwerer, was den Jo-Jo-Effekt verstärkt. Dieses Alter erreichten die Menschen historischer und prähistorischer Epochen erst gar nicht.

Darf man daraus schließen, dass Diäten in der ersten Lebenshälfte gar nicht so schlimm sind, wenn gleichzeitig und darüber hinaus ausreichend Sport betrieben wird? Bis zu einem gewissen Grade ja, wie viele Sportler zeigen, die periodisch immer wieder ein „Muskelaufbautraining“ durchführen. Für die Älteren von uns ist der Ersatz verloren gegangener Muskelmasse, sei dies durch eine Erkrankung verursacht oder Folge einer verunglückten Diät, jedoch schwierig.

In den Medien und auch von verschiedenen „Experten“ wird der Jo-Jo-Effekt häufig als Argument herangezogen, Diäten grundsätzlich zu verdammen und als unsinnig abzulehnen. Kritisch bei Diäten sind neben dem Jo-Jo-Effekt auf körperlicher Ebene auch noch Probleme des Verzehrsverhaltens und psychologische Aspekte (z. B. das Gefühl der dauernden Einschränkung). Ist es doch gerade der Rückfall in alte, ungünstige Ess- und Aktivitätsgewohnheiten nach der Diät, der den Jo-Jo-Effekt verursacht.

Das hilft natürlich einem Diabetiker oder Prä-Diabetiker, der dringend einige Pfunde abnehmen sollte, nicht wirklich weiter. Hier kann eine altersgerechte Betreuung mit diätetischen und sportlichen Maßnahmen doch weiterhelfen. Eine der vielen Gruppen, die Ideen und Konzepte zum langfristigen Abnehmen ohne Jo-Jo entwickeln, wird schon ein Patentrezept finden.

Lassen Sie uns mit diesem Gedanken hoffnungsfroh in den Frühling gehen.

Ihr

Helmut Erbersdobler



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