Editorial 05/08: Pro- und Präbiotika

Prof.Dr.Helmut Erbersdobler

Als ich noch ein Kind war, aß man in Niederbayern häufig, wenn nicht täglich, „gstöckelte“, d. h. saure Milch. Pur, mit Schwarzbrot eingebrockt oder als erhitzte „saure Millisuppn“ mit dünnen Altbrotscheiben zum Frühstück oder mit Kartoffeln zu Mittag.

Ende der vierziger Jahre gab es im Spätsommer und Herbst auch noch Hiagstmilli (Herbstmilch), ein Produkt, das im Tonkrug mit Deckel an einem schattigen und kühlen Ort aufbewahrt und täglich mit den überschüssigen Resten der Milchproduktion nachgefüllt wurde. Die Entnahme erfolgte zur Herstellung der o. a. Milchsuppe. Hin und wieder brachte mein Großvater 10 l „Säurewecker“ mit – heute würde man Starterkultur sagen –, der uns besonders schmeckte. Zumindest dieses Produkt hielten wir schon damals für gesund.

Von Jogurt hörten und aßen wir erst viel später. Heute sind Jogurtprodukte ubiquitär und überaus beliebt. Ein probiotischer Jogurt wurde erstmals 1930 von Minoru SHIROTA in Japan entwickelt, kurioserweise in einem Land ohne große Milchtradition (aber mit Jahrtausende langer Erfahrung auf dem Gebiet der Milchsäuregärung). Heute gibt es unzählige Probiotika, denen die mannigfaltigsten Wirkungen zugeschrieben werden (s. den Beitrag ab S. 298).

Manche Effekte mögen sich kaum von denen eines üblichen Jogurts unterscheiden, viele probiotische Produkte zeigen aber sehr spezifische Wirkungen. Während man sich zunächst auf die Beeinflussung der Darmgesundheit konzentrierte, wurden später spezielle und allgemeine Wirkungen auf das Abwehrsystem propagiert. In letzter Zeit kommt man auch wieder zum Magen-Darm-Trakt zurück bzw. kombiniert Verdauung und Abwehr unter dem Stichwort Barrierefunktion.

Schon bald traten auch die Präbiotika auf den Plan – zumeist Oligofruktosen, die probiotische Keime unterstützen, weil sie ein günstiges Milieu für deren Wachstum bereitstellen. Natürlicherweise nimmt man diese „Wachstumsförderer“ für die „positive Darmflora“ z. B. über Roggenbrot, Zwiebeln und einige exotischere Lebensmittel (z. B. Artischocken) auf.

Heute dienen Großkulturen von Zichorien, allenfalls noch Topinambur als Quelle für die gereinigten und geschmacksneutralen Oligofruktosen. Gemeinsam fördern Pro- und Präbiotika das Wachstum der gesundheitsfördernden Darmbakterien, wodurch die schädlichen, zumeist gram-negativen Bakterien mit ihren schädlichen Stoffwechselprodukten verdrängt werden. Vermutlich wird nicht nur die Bildung dieser Toxine verringert, sondern auch deren Übertritt ins Blut. Dadurch werden ständige Entzündungsreize vermindert, die sonst zu Stoffwechselerkrankungen bis hin zu Herz-Kreislauf-Krankheiten führen würden. Selbst die Adipositas wird mit solchen Entzündungsreaktionen in Verbindung gebracht [Delzenne NM et al., J Nutr 137 (11 Suppl.) 2547S–2551S, 2007].*

Unabhängig von dererlei Wirkungen haben die probiotischen Milchprodukte den Stellenwert und auch den Verzehr von Jogurt generell stimuliert. Zu wünschen wäre noch eine präzisere Wirkungszuweisung, damit man sich entscheiden kann, für welche Wirkung man welches Produkt einsetzen will (s. auch den Beitrag ab. S. 298).

Essen Sie auf jeden Fall Jogurt, am besten täglich. Und wenn es die berühmten Fläschchen sind, dann durchaus noch eine Portion normalen Jogurts dazu, am besten fettarm und nicht oder nur moderat gezuckert, z. B. mit einem kräftigen Brot oder einem Müsli. Dann haben Sie auch noch einen nicht unerheblichen Teil Ihres Calciumbedarfs gedeckt. Und wenn Sie sich Abwechslung wünschen, dann dürfen es auch Sauermilch, Kefir oder ähnliche Milchprodukte sein.

Herzlichst

Ihr

Helmut Erbersdobler

*Ich danke Herrn Prof. Dr. Christian Barth für den Literaturhinweis

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