Alimentum ultimum 07/02 (Das letzte Gericht)

Johannes

Gespenster gehen um in Europa. Alte wie neue. Antisemitismus und Rechtspopulismus etwa oder EU-Osterweiterung und Zuwanderung. Doch wer fürchtet sich auch noch vorm traditionellen Essen und Trinken? Die Deutschen. Meine Berliner Cousine Elvira, bereits von der vorjährigen Entdeckung des Zusammenhanges zwischen Übergewicht und Nackenumfang geschockt, hatte sich aus Angst vor Prionen, Fremdgenen, Hormonen und dubiosen Giften in der konventionellen Nahrung gerade finster entschlossen, zur magersüchtigen Biovegetarierin zu werden, als sie der Nitrofenskandal um die Orientierung brachte.

Was konnte der ihr vom Ehemann zugedachte Haushaltroboter aus dem BMBF-Leitprojekt MORPHA nunmehr schon für Hol- und Bringdienste leisten, so doch nicht einmal klar war, ob dieser sich nach den 10 Regeln der DGE richtete, geschweige denn nach dem Künastschen Diktum zu unterscheiden wusste: "Wo Bio drauf steht, muss auch Bio drin sein!" Mochte er auch auf Sprache, taktile Kontakte oder Zeigegesten reagieren, wie konnte Elvira jetzt noch sicher sein, dass der Roboter ihr statt einer Knackwurst nicht eine Kackwurst in die Suppe warf? Was also blieb ihr anderes übrig, als der Klosterbruder- und Laxofix-Forschung sowie deren Interpreten Prof. Schwankhofer und dem gemeinnützigen Institut für Ernährung und Diätetik zu vertrauen? Denn durch sie sei wenigstens offenkundig geworden, flüstert mir Elvira zu, welches Schreckgespenst in Deutschland das des Kommunismus wirklich abgelöst habe: allgemeiner Vitaminmangel.

Na ja, wispere ich zurück, sie habe da zwar Glocken läuten hören, wisse aber offenbar nicht, wo diese hingen. Wer einen Nährstoffmangel per Saldo aus dem Mittel erfragter und empfohlener Zufuhren herausrechne, dem wünschte ich selber einmal die Krätze und andere Übel eines echten Vitaminmangels an den Hals, werde ich grob und laut, um mich aus der Tyrannei von Elviras Intimität zu befreien. Ich fürchte und sehe es nämlich in jedem uns öffentlich vorgeführten "Polit-Talk" bestätigt, gleichgültig ob von Alfred, Reinhold, Johannes B. oder Maybritt, Sabine und Sonja, dass Richard Sennet mit seiner Annahme am Ende doch Recht hat: Jeder gesellschaftliche Sinn erwächst aus dem Gefühlsleben der Individuen und verdrängt dadurch auf Dauer die res publica.

Indes, mein Lamento wird Elvira nicht davon abhalten, sich einem selbstverständlich gemeinnützig entwickelten Vitamin-Check-up zu unterziehen und einer als "Vitalfood" bezeichneten "gesunden Innovation im Bereich Fastfood " zuzuwenden. Schließlich hat eins schon immer gegolten: Sibi quisque peccat (Jeder muss seine Dummheit ausbaden). Die Elite deutscher Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft sollte man davon bei Gott nicht ausnehmen. EU07/02

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