GVO - Leserbrief

Bewertung der gegenwärtig vorgenommenen gentechnischen Veränderungen an Pflanzen aus der Sicht der globalen Ernährungssicherung

Gegenwärtig wird sowohl in der Öffentlichkeit als auch unter Wissenschaftlern sehr kontrovers über die grüne Gentechnik diskutiert. Dabei geht es u. a. um die Koexistenz zwischen den Feldern der Ökobauern und dem benachbarten Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen , die Höhe der Schwellenwerte von GVP in Saatgut, Futter- oder Lebensmitteln oder um die Nutzung von GVP in der Ernährung und die evtl. damit verbundenen Risiken.

Bei diesen Diskussionen werden häufig die Potenziale, Chancen bzw. Herausforderungen der grünen Gentechnik vergessen oder vernachlässigt.

Mit der Gentechnik verfügt der Mensch über ein Instrumentarium, mit dem er bestimmte Eigenschaften auf andere Organismen übertragen kann. In der Pflanzenzüchtung hat sie schon eine beachtliche Bedeutung erlangt. Weltweit wurden im Jahre 2002 bereits nahezu 60 Mio. Hektar mit GVP bestellt. Dabei dominierten GVP, die Resistenzen gegen verschiedene Pflanzenschutzmittel (77 %) aufweisen. Lediglich 15 % der Fläche wurden mit GVP bestellt, die gegen pflanzliche Schädlinge (z. B. Maiszünsler) resistent sind.

Weitere GVP mit erhöhten Resistenzen bzw. veränderten Inhaltsstoffen (z. B. erhöhter Gehalt an bestimmten Fettsäuren, Aminosäuren, Vitaminen oder anderen erwünschten Substanzen) sind in der Entwicklung oder im Versuchsanbau.

Beiträge zur effizienten Ressourcennutzung

Aus der Betrachtung des gegenwärtigen Standes des Anbaues von GVP und Informationen zum Stand der Forschung resultiert die Frage, ob damit den Herausforderungen unserer Zeit, wie Ressourcenschonung bzw. effiziente Ressourcennutzung, Nachhaltigkeit der Produktion und Beiträge zur globalen Ernährungssicherung umfassend Rechnung getragen wird. Bei dieser kritischen Nachfrage sollte allerdings nicht verkannt werden, dass es sich bei der Biotechnologie und damit der Teildisziplin Gentechnik um eine junge Wissenschaftsdisziplin bzw. um die Anfänge einer Entwicklung handelt.

Unter dem Blickwinkel einer effizienten Ressourcennutzung und von Beiträgen zur globalen Ernährungssicherung erscheint vor allem eine Orientierung der Pflanzenzüchtung als Startpunkt der Nahrungskette auf folgende Zielstellungen wünschenswert:
- effiziente Nutzung der Ressourcen:
  - Wasser
  - mineralische Rohstoffe (z. B. Phosphor)
  - fossile Energie (geringer Einsatz von Produktionshilfsmitteln),
- erhöhte Dürreresistenz,
- Nutzung von Salzwasser,
- Resistenz gegenüber tierischen und pflanzlichen Schädlingen,
- geringer Flächenverbrauch.

Eine bessere Phosphorausnutzung in phytatarmem Mais soll als ein Beispiel für die gewünschte Richtung erwähnt werden.

Lebensmittel-/Futtermittelqualität und -sicherheit

Die Ernährung von Tier und Mensch kann durch eine entsprechende Diätzusammensetzung (z. B. Kombination verschiedener Lebens- bzw. Futtermittel) und durch Zusatzstoffe (z. B. Aminosäuren, Mengen- und Spurenelemente, Vitamine, Enzyme) optimal und bedarfsdeckend gestaltet werden.

Dagegen können unerwünschte Inhaltsstoffe (wie z. B. allergene Substanzen, Mykotoxine, Alkaloide, Glukosinolate, aber auch Substanzen als Ergebnis menschlicher Aktivitäten, wie verschiedene Rückstände) nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand aus der Nahrungskette entfernt werden.

Daraus resultiert der Wunsch, durch gentechnische Maßnahmen den Gehalt an unerwünschten Inhaltsstoffen in den Pflanzen zu minimieren. Ein geringerer Mykotoxingehalt in gentechnisch verändertem Mais (Bt-Mais) kann bereits als erster Erfolg auf diesem Weg gewertet werden.

In der öffentlichen Diskussion werden häufig Wünsche nach der Erhöhung wertbestimmender Inhaltsstoffe in den Lebensmitteln im Sinne von "Functional Foods" geäußert. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass durch derartige Pflanzen durchaus Beiträge zur besseren Versorgung der Menschen mit verschiedenen Spurennährstoffen in Defizitregionen geleistet werden können (z. B. mehr ß-Carotin als Vitamin-A-Vorstufe im "Golden Rice", mehr Aminosäuren in Kartoffeln oder im Getreide usw.). So sehr diese Wünsche verständlich sind und so gut sich vielleicht solche Produkte verkaufen lassen, aus strategischer Sicht sollten sie erst an dritter Stelle rangieren.

Gegenwärtige Situation und Erwartungen

Die gegenwärtig angebauten GVP (vor allem Sojabohne, Mais, Baumwolle und Raps) werden nur im geringen Umfang den Wünschen Eins (Ressourcenschonung) und Zwei (Minimierung unerwünschter Inhaltsstoffe) bezüglich der Beiträge zur globalen Ernährungssicherung gerecht.

Diese Situation ist nicht verwunderlich, da wir uns am Anfang einer Entwicklung befinden, die Forschung auf diesem Gebiet sehr kostenintensiv ist und somit vor allem von großen Unternehmen geleistet wird, die verständlicherweise versuchen, die Endprodukte ihrer Entwicklungen gewinnbringend umzusetzen.

Andererseits sind die öffentlich geförderte Forschung und damit die Gesellschaft angehalten, nicht den Anschluss an die zügige Entwicklung zu verlieren. Patente und andere Absicherungen von Befunden erschweren bereits jetzt den Zugang zu den Biotechnologien und damit deren Nutzung.

Durch eine gezielte Förderung der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Gentechnik und eine agrarökologische Begleitforschung (vom Boden bis zum Verbraucher) in öffentlichen Forschungseinrichtungen sollten die Voraussetzungen für nachhaltige Beiträge der grünen Gentechnik zur globalen Ernährungssicherung geschaffen werden. Ansonsten besteht die Gefahr, den Anschluss an eine Entwicklung zu verlieren. EU09/03

Prof. Dr. Gerhard Flachowsky
Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft
Institut für Tierernährung
Bundesallee 50
38116 Braunschweig

Weitere Kurzberichte finden Sie in Ernährungs-Umschau 09/03 ab Seite 360.

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