Zu guter Letzt 01/13: Eine Schwalbe war’s und nicht die Ente

Es ist wie im Märchen. Man sieht etwas und dann ist es nicht mehr da oder nur noch in veränderter Form. Am Freitag den 11. Januar las ich in unserer Tageszeitung einen Bericht über den neuen „Fleischatlas“ 1. Es wurde dort u. a. darüber berichtet, dass Thüringer Männer am meisten Fleisch und Fleischerzeugnisse essen und zwar ca. 70 g pro Tag. Im Durchschnitt würde jeder Deutsche 60 kg Fleisch pro Jahr konsumieren. 70 g, da hatte ich mehr in Erinnerung und außerdem ergibt 60 kg geteilt durch 365 Tage 164 g pro Tag.

Ich mailte dies der Zeitung, die mir sofort antwortete und versicherte, die Zahlenangaben wortgetreu übernommen zu haben. Und tatsächlich fand ich dieselben Angaben auch online in überregionalen Tageszeitungen und diversen Magazinen. Den Hintergrund der Sache konnte ich wegen einer anderen Verpflichtung am selben Tag nicht mehr klären.

Am nächsten Tag lud ich mir den Fleischatlas selbst herunter. Doch – oh Wunder – die 70 g waren nicht mehr zu finden. An ihrer Stelle standen – pauschal für die östliche Hälfte Deutschlands –105 g, also eine Zahl, die mir schon plausibler erschien. Auch andere Zeitschriften, wie Spiegel online hatten die neuen Zahlen. Als Quellenangabe fand ich im Fleischatlas die uns allen bekannte Nationale Verzehrsstudie II . Dort wird für unseren Thüringer Mann ein Wert von knapp 120 g angegeben.

Die Diskrepanz zu den o. a. 164 g ließe sich zum einen aus dem Unterschied zwischen Verbrauch und Verzehr (ohne Abfall) erklären sowie durch die Tatsache, dass bei Verzehrsstudien immer mit einem gewissen underreporting zu rechnen ist. Interessanterweise verzehren die Thüringer im Gegensatz zu den übrigen Deutschen mehr Fleisch in Form von Wurstwaren als reines Fleisch, was gesundheitlich ja eher ungünstiger einzustufen ist.

Nach dem Wochenende rief ich bei der Heinrich Böll Stiftung an. Die sehr freundliche Pressesprecherin sagte, dass man versehentlich an Stelle des Konsums von Fleisch und Wurstwaren nur die Zahlen für die Wurstwaren angegeben hatte. Man wurde relativ rasch auf den Fehler aufmerksam, die Pressemeldungen waren aber schon raus, sodass das Unglück seinen Lauf nahm. Am nächsten Tag wurden die Werte korrigiert und die Presseredaktionen informiert. Ob letztere über den „Wandel“ berichtet haben, entzieht sich meiner Kenntnis.

Der Fall zeigt im gewissen Sinne in befriedigender Weise, dass im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen eine Fehlmeldung als lahme Zeitungs-Ente daher kam, sie heute als eine geschwinde Schwalbe schnell vorbei fliegt (in der Druckversion existiert sie aber noch, die Ente!). Mir war außerdem wichtig aufzuzeigen, wie Zahlen generiert und transportiert werden und wie sie Verwirrung stiften können. Über den gesamten Fleischatlas werden wir noch an anderer Stelle berichten.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr Helmut Erbersdobler

Den vollständigen Artikel finden Sie in Ernährungs Umschau 02/13 auf Seite M120.

1Heinrich Böll Stiftung/Bund für Umwelt und Naturschutz/ Le Monde diplomatique. Fleischatlas. Möller Druck Ahrensfelde (2013). URL: www.boell.de/ fleischatlas

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