Zu guter Letzt 04/14: Mainzelmännchen?

Zu meinen Studienzeiten wurden unter den Studierenden die Gießener Ökotrophologinnen mehr oder weniger liebevoll als „Akademische Hausfrauen“ betitelt. Diese Zeiten liegen hinter uns, der Berufsstand der Ökotrophologen ist meiner Erfahrung nach heute im Großen und Ganzen be- und anerkannt.

Aber wie steht es um unseren Ruf? Wenn ein „Hobbykoch“ auf spiegel online verbreitet, dass von Ernährungswissenschaftlern ja „immer wieder neue ‚Erkenntnisse‘ in die Frühjahrsdiätsaison geballert [werden], die den Ratschlägen des Vorjahres diametral widersprechen“1, ist das schon ein starkes Stück, v. a. weil es ja gerade die Ernährungsfachkräfte (Ökotrophologen, Ernährungswissenschaftler, Diätassistenten) sind, die seit Jahrzehnten gegen die von zweifelhaften Herstellern, Frauenzeitschriften und auch manchen TV-Köchen (s. das Editorial in diesem Heft) angebotenen und mit noch zweifelhafteren Studien belegten „Wunderdiäten“ und -wirkungen ankämpfen.

Offensichtlich verwechselt er da den Wolf im Schafspelz mit den Mainzelmännchen. Letztere sind eigentlich gar kein so schlechtes Beispiel für die ernährungswissenschaftliche Zunft, da sie als arbeitsam und fleißig, aber irgendwie auch als allzu beflissen gelten. Dass ich selbst eine Weile lang stets die Speisen meiner Mitmenschen im Restaurant „absegnen“ musste (ob sie auch gesund sind oder, falls nicht, trotzdem aus irgendeinem Grund gegessen werden dürfen), findet sich laut der Analyse einer Germanistin inzwischen in unserer Sprache wieder: Der Begriff „gesunde Ernährung“ hat in der Allgemeinbevölkerung fast ebenso eine Bedeutung als Wortpaar wie der „gesunde Menschenverstand“. 2

Das Wort Menschenverstand benutzt man ja schon gar nicht ohne die Zuschreibung „gesund“. Auf die Frage, ob wir bei der Ernährung auch dahin kommen wollen, dass sie ohne „gesund“ gar nicht mehr aussprechbar ist, habe ich selbst eine klare Antwort: Nein! Die soziologische Bezeichnung „soziales Totalphänomen“ für alles, was mit Ernährung zusammenhängt, ist abschreckend sperrig, weist uns aber darauf hin, dass Ernährung nicht nur Gesundheit ist. Daraus folgt für mich, dass Ernährungswissenschaftler nicht nur „Gesundheitsapostel“ sein sollten. Genau so werden sie aber offensichtlich in der Bevölkerung wahrgenommen, im Guten wie im Schlechten.

Das ganze Leben ist von Ernährung durchdrungen und umgeben und wie oft habe ich beim Zusammensitzen mit Freunden, spontanen Besuchen etc. schon gedacht, was Geselligkeit ohne Essen und Trinken wäre, nämlich quasi undenkbar. Vielleicht sollten wir im Zusammenhang mit Essen und Trinken öfter auch über etwas anderes als über Gesundheit reden. Lassen Sie uns diesbezüglich ein wenig an unserem Ruf arbeiten; auf einen „Gesundheitsapostel“ reduziert zu werden, dafür ist mir meine lange und abwechslungsreiche Ausbildung zu schade. Gerne bin ich auch zu anregenden Diskussionen hierüber bereit3.

Ihre Sabine Schmidt

Den vollständigen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 04/14 auf Seite M232.

1 Schweinefilet mit Fett-weg-Salat: Butterzart, diese Diät-Sau. SPIEGEL ONLINE – Kultur – 22.03.2014. URL:
www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/rezept-schweinefilet-mit-fett-weg-salat-vonhobbykoch-peter-wagnera-959903.html 
2 Wilk N (2014) Diskurslinguistische Studien zum Ernährungswissen in den (Neuen) Medien. Proceedings of the German Nutrition Society. Abstractband zum 51. Wissenschaftlichen Kongress. S. 68.
3 Unter redaktion-eu@uzv.de

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