Nachschlag: Kleines Kaffeebrevier

Wie einfach war es doch früher, im plüschigen Café einen Kaffee zu bestellen, gab es bei uns doch meistens nur die Hausmarke (mit oder ohne Koffein) und die Wahl zwischen Tasse und Kännchen, als Zusätze standen (Kondens-)Milch und Zucker bereits auf dem Tisch.

In Wien dagegen stand das schwarze, koffeinhaltige und psychotrope Genussmittel bereits seit dem 17. Jahrhundert im Mittelpunkt einer weithin berühmten Kaffeehauskultur. Auf der Grundlage eines schwarzen Mokkas wurden hier im Laufe der Zeit zahlreiche Kaffeespezialitäten entwickelt: ein Verlängerter ist ein Mokka, der mit heißem Wasser verlängert wird, ein Kleiner Brauner ist ein einfacher, ein Großer Brauner ein doppelter Mokka, der Einspänner ist ein Mokka mit einer Sahnehaube (Schlagobers) und wird im Henkelglas serviert, ein Kapuziner ein Mokka mit hinzugefügter flüssiger Sahne, ein Franziskaner ein Cappuccino mit einer Sahnehaube, die Melange ist ein mit heißer Milch gestreckter Mokka, also ein Milchkaffee, und ein Fiaker ein im Glas servierter stark gezuckerter Mokka mit 2 cl Rum oder einem anderen Schnaps und einem Sahnehäubchen on top.
Heute ist es auch bei uns mit dem Kaffeeeinerlei vorbei, stattdessen Kaffeevielfalt ohne Ende. Kein Quartier ohne eigene/s Kaffeehaus, -rösterei, -manufaktur oder zumindest der Filiale einer Kaffeekette mit einer großen Getränketafel, auf der zahlreiche Kaffeekreationen u. U. in zwei bis drei Röstvarianten, als Espresso, Crema, Americano, Mocca, Latte, Galão oder was weiß ich, angeboten werden, in drei bis vier Portionsgrößen als short (240 mL), tall (350 mL), grande (470 mL) oder venti (590 mL), aus fairem oder unfairem Anbau, heiß oder kalt, mit Kuhmilch, Hafer-, Soja-, Reis-, Dinkel-, Mandel-, Haselnuss-, Cashew- oder Hanfmilch – alles natürlich in Baristaqualität.
Im Kaffeeland Italien ist das Fachvokabular zum Glück noch übersichtlicher: Dort trinkt man Cappuccino allenfalls zum Frühstück oder am Vormittag, keinesfalls aber nach der Mittagszeit und nicht nach einem Essen. Der Caffé ist traditionell ein Espresso und wird i.d.R. al banco, also im Stehen zum staatlich festgelegten Höchstpreis von 1,20 € getrunken. Wird der Espresso vom unkundigen Gast allerdings am Tisch sitzend getrunken, kommt ein deftiger Servierzuschlag hinzu, der am Canal Grande in Venedig oder am Trevi-Brunnen in Rom auch mehr als das 5-fache des Basispreises betragen kann. Spätestens wenn Sie dann auch noch einen Filterkaffee bestellen – einen „Caffé tedesco“ – outen Sie sich als ein der italienischen Kaffeekultur unkundiger deutscher Tourist. Wer nicht ganz ohne Milch auskommt: ein Caffé macchiato – also ein mit einem Hauch Milchschaum befleckter Espresso – wird vom Barista nach dem Essen gerade noch ohne Stirnrunzeln serviert. In Vorbereitung auf den Sommer empfehle ich Ihnen, sich schon einmal mit aktuellen Kaffeetrends – Espresso Tonic, Cold Brew und Cold Drip – vertraut zu machen, um demnächst bei der Kaffeeauswahl weniger ratlos dazustehen.

Ihr Helmut Heseker



Den Nachschlag finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 5/2022 auf Seite M288.

PDF Artikel Download für Abonnenten:

Das könnte Sie interessieren
Sternchensuppe weiter
Die Rolle der Ernährungstherapie in der Behandlung von Essstörungen weiter
30 Jahre Diätassistenten-Gesetz: VDD fordert „Novellierung jetzt!“ weiter
Verbände fordern verstärkte Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen zur Steigerung der... weiter
61. Wissenschaftlicher Kongress der DGE weiter
Pflanzliche Speisefette und -öle weiter